Die Magie des Falken
Luft, straffte die Schultern und hob den Kopf. Laggars Augen blitzten ihn im Licht der Talgflamme an.
»Ich bin bereit«, sagte er mit belegter Stimme. Die Seimenn ließen ein anerkennendes Raunen hören.
»So möge es geschehen.« Eyvindr Kelda hob ein in Silber gefasstes Prunkhorn. »Erhebe dich nun, Seimar, und trinke mit uns. Auf deinen Auftrag!«
Er nahm einen Schluck und reichte das Horn an Kyrrispörr weiter. Als der den starken Met trank, da war es, als seien all die Kälte und Aufregung von ihm abgefallen, als stünde er nicht mehr nackt, sondern in dicke Felle gehüllt vor dem Meisterseher. Mit einer wohltuenden inneren Ruhe reichte er das Horn an den nächsten Seimann weiter, der auf den Erfolg ihrer Unternehmung trank und das Horn weiter kreisen ließ, bis es wieder in Kyrrispörrs Hände gelangte.
»Nimm den letzten Schluck, und unser Eid ist besiegelt. Ich werde das Horn dem Oinn opfern.«
Und als Kyrrispörr es Eyvind zurückgab, da kleideten die Männer ihn in neue Sehergewänder: Ein Kittel und Hosen, dazu ein knöchellanger Umhang und weiche Lederstiefel, alles aus strapazierfähigem und sich angenehm anfühlendem Material, verziert mit Borten und Mustern. Jemand hatte Fibel und Schwert von seinem Lager herbeigeholt und legte es ihm um.
»Sei uns willkommen«, sagte Eyvindr abschließend. »Nun lasst uns diesen Anlass mit einem Schmaus begehen!«
Obschon Kyrrispörr seit Tagen nicht mehr satt gewesen war, konnte er doch nur langsam essen. Er hatte ganz vergessen, wie gut es tat, wieder einen vollen Magen zu haben.
»Stärke dich«, riet Eyvindr ihm. »Es wird eine harte Zeit gegen Olaf!«
Als er als geweihter Seimar zurückkam zu jener Hütte, aus der er als Jüngling im Hemd gekommen war, war sein Kopf von den Erlebnissen und dem Met wie in Watte gepackt. Die Seimenn hatten gelacht, ihn aber nicht gedrängt, mehr zu trinken oder zu essen.
Im Haus schliefen bereits alle. Nur hinten, vor Kyrrispörrs Bettstatt, flackerte auf hüfthohem Metallstab ein Talglicht und ließ die Schatten spielen. Zu seiner Überraschung gewahrte Kyrrispörr Æringa, die am Kopfende saß und ihn erwartete.
»Du hast die ganze Zeit hier gewacht?«, flüsterte Kyrrispörr verwundert.
»Ich hatte Angst um dich. Dass die Geister dich bei sich behalten.« Kyrrispörr wollte etwas erwidern, aber Æringa sprach schon weiter: »Es ist schon anderen Seimenn so ergangen! Man erzählt sich, manche seien nie wieder gesehen worden, und andere hätten angefangen, sich wie Schafe oder Hühner zu verhalten! – Aber du siehst wirklich gut aus«, wechselte sie das Thema. Sie erhob sich und maß ihn voller Bewunderung. »Ein richtiger Seimar.«
Kyrrispörr war es, als dringe ihm ihr Blick bis in die Seele, und er erschauderte. Ihre Berührung an seinen Schultern bewirkte eine eigentümliche Erschütterung in ihm. Als sie mit fliehenden Fingern die Mantelfibel von seiner Schulter löste, wollte er ihr gleich sagen, welch furchtbares Schicksal ihm bevorstand; sein Blick musste sich unwillkürlich verdüstert haben, denn Æringa musterte ihn voller Sorge.
»Es … Es gibt da noch etwas …«, stotterte er; es war ihm selbst ein Rätsel, weshalb es ihm auszusprechen so schwer fiel. Aber Æringa verschloss ihm rasch die Lippen mit der Hand.
»Ich weiß«, raunte sie. »Eyvindr hat mich eingeweiht.« Sie nahm ihm den Mantel von den Schultern, legte ihn zusammen und öffnete ihrerseits die Kuppelfibeln, die ihre Schürzenbänder hielten. Dabei warf sie ihm einen Blick zu, der ihn noch tiefer ins Mark traf als ihre vormalige Berührung.
»Na komm! Du brauchst Schlaf!«, ermunterte sie ihn. Verdattert nestelte Kyrrispörr am Gürtel, legte den Schwertgurt mit der schweren Waffe daran ab und schlüpfte aus den weichen Lederschuhen. Dann zögerte er. Er wusste selbst nicht, woran es lag – üblicherweise kannte er keine Scham, es war schließlich etwas ganz Gewöhnliches, aber eben nicht heute Nacht. Er schob es auf die Verwirrung durch die Erlebnisse und den Met, auch wenn es ein ganz merkwürdiges, unbekanntes Gefühl war, das da mit Macht Aufmerksamkeit forderte. Ihm klopfte plötzlich das Herz bis zum Halse. Peinlich berührt, legte er die Hände über die Schenkel. Æringa kicherte und trat an ihn heran. Ein Hauch von ihrem Schweiß stieg ihm in die Nase, und er meinte, die Besinnung zu verlieren. Unwillkürlich hatte er die Augen geschlossen. Als sie mit sanften Fingern seine Unterarme berührte, holte er zitternd Luft.
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