Die Magie des Falken
Midgardschlange umfing ihn, er spürte sie hinter sich und starrte in ihr Feuerauge, das plötzlich zu blinzeln schien und mit einem Mal verlosch, und jetzt war er allein, allein in der undurchdringlichen Finsternis, die von der Midgardschlange ausgefüllt wurde, ihn würgte, ihm den Atem nahm, einzig das Raunen, ohrenbetäubend war es jetzt, schützte sein nacktes Leben vor ihrer Urgewalt – da zerschnitt ein weißgreller Blitz die Finsternis, Kyrrispörr sah die Reflexion des Lichts in einer Schwertklinge, die auf ihn niedersauste, und ein zweiter, noch hellerer Blitz schickte ihn in die Bewusstlosigkeit. Ohnmächtig fiel Kyrrispörr in sich zusammen.
Kälte war das Erste, was er spürte. Er lag flach ausgestreckt auf dem Rücken. Um ihn herum brannten Fackeln, in jeder Ecke des Grubenhauses eine. Zwischen ihnen standen Männer. Schwertknäufe, Messingschließen und Nieten reflektierten das Licht. Bleich grinsten Schädel an den Gürteln des einen oder anderen. Sie alle sahen regungslos auf ihn hinab und schwiegen. Das Talglicht brannte wieder, es stand auf einem kleinen Podest an der Wand. Laggar saß auf der Kante und äugte zu Kyrrispörr hinunter; daneben stand Eyvindr Kelda und hatte die Arme gehoben, die Handflächen nach oben gekehrt, und setzte zu einem kehligen Gesang an, in den die anderen einfielen. Sodann kniete er vor Kyrrispörr nieder, hob sanft seinen Kopf an und flößte ihm ein Gebräu aus einem winzigen Horn ein, das scharf und süß zugleich war. Kyrrispörr verschluckte sich beinahe. Das Getränk fuhr ihm wie Feuer in die Glieder, die er gar nicht mehr gespürt hatte. Währenddessen hielt der vielstimmige Gesang der Seimenn ununterbrochen an.
»Knie hin!«, befahl Eyvindr Kelda. Kyrrispörr kostete es unsäglich viel Kraft, vor dem Steinblock auf die Knie zu gehen, auf dem nicht nur sein Falke und das Talglicht standen. Jetzt entdeckte er, dass seine Rückseite ganz von dem hölzernen Götterbild des Oinn eingenommen wurde.
»Du bist gestorben als Kyrrispörr Hæricson, freier Mann, und bist nun wiedergeboren als Seimar, geprüft und für würdig befunden in der Welt der Geister. Doch ehe nun wir, die Seimenn, dich in unsere Reihen aufnehmen können, sage uns, was dich am meisten antreiben wird in deinem neuen Leben!«
Kyrrispörr brauchte gar nicht nachzudenken. Trotz der Verwirrung, die ihn ergriffen hatte, lag ihm die Antwort bereits auf der Zunge.
»Rache für meinen Vater«, gab er zur Antwort.
»Und das bedeutet?«
»Tod König Tryggvasons durch meine Hand.«
»Du, Kyrrispörr Hæricson, bist der bedeutendste Mann unserer Mission. Denn du wirst es sein, der König Olaf niederstrecken wird. Die Nornen haben zu mir gesprochen, dass du den entscheidenden Streich führen wirst.«
Kyrrispörr sah mit einem Anflug von Glück zum Meisterseher empor. Wenn die Schicksalsgöttinnen selbst Eyvind dies prophezeit hatten, war es gewiss, dass er die Rache für seinen Vater würde vollziehen können.
»Wir alle, alle Seimenn, die an der Expedition teilnehmen, haben beschlossen, dich mit unserem Leben zu schützen, auf dass die Prophezeiung wahr werde. Aber es gibt eine Bedingung, damit der Spruch der Nornen Wirklichkeit wird. Oinn hat zwei Raben, Huginn und Munnin. Jeder von ihnen wird ein Mal für dich Blut kosten, und Munnin muss das des Königs bekommen. Weder dein Schwert noch deine Pfeile noch eine andere Waffe in deinen Händen dürfen also mehr als ein Mal Blut gesehen haben, als bis du gegen Olaf Tryggvason selbst antrittst. Wir werden für dich kämpfen.«
Kyrrispörr war ein wenig enttäuscht. Eyvindr Kelda legte eine kurze Pause ein.
»Es gibt noch eine Kehrseite. Auch die musst du kennen.« Ein bedrückendes Gefühl stieg in Kyrrispörr auf. Unwillkürlich senkte er den Kopf und wartete auf Eyvinds nächste Worte.
»Die Nornen haben mir auch geweissagt, Seimar Kyrrispörr Hæricson, dass du, sobald Olafr seinen letzten Atemzug getan hat und Munnin satt ist, selbst des Todes sein wirst.«
Kyrrispörr zuckte wie unter einem Hieb zusammen und ließ das Haupt noch tiefer sinken, bis das Kinn seine Brust berührte. Irgendwie hatte er es schon geahnt. Im Augenblick des größten Triumphes, ausgerechnet, würde er selbst den Tod finden. Ihm war sofort bewusst, dass alles, was er jetzt tat, alles, was zur Erfüllung seiner Bestimmung diente, ihn zugleich seinem eigenen Tod näher brachte.
Er spürte, dass Eyvindr Kelda eine Antwort von ihm erwartete. Tief holte er ein-, zweimal
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