Die Magie des Falken
bitter.
»Pass auf dich auf«, raunte er, und die Stimme versagte ihm. Hastig machte er sich los, umklammerte sein Bündel und stapfte los. Einen Moment länger, und er wäre tatsächlich in Tränen ausgebrochen. Bedrückt sah er über die Abschiednehmenden hinweg zum Boot.
Es bot sich ein denkwürdiges Bild: Eyvinds Drachenschiff wurde ausschließlich mit Magiern bemannt. Neben jenen in der praktischen Kleidung der kämpfenden Seimenn waren dort ebenso solche zu finden, die den Eindruck einfacher Bauern erweckten, und solche, die wie finnische Zauberer aussahen mit ihren tierschädelbehängten Pelzen. Von letzteren trugen viele gar keine Waffen bei sich, höchstens hier und da den Stab der Völven, so sehr verließen sie sich auf die Kraft ihrer Magie. Aber alle waren sie in Gebete versunken, um Gott Njörd um guten Wind zu bitten.
»Dein Platz ist ganz hinten, gleich vor dem Ruder«, rief Eyvindr ihm zu. »Schließlich bist du die wichtigste Person auf unserer Reise!«
Kyrrispörr nickte. Als er das schwankende Boot über den Steg betrat und die Sitzbank an seinem Platz hochklappte, um darin seine Sachen zu verstauen, spürte er Stolz einerseits und Wehmut andererseits: Sobald sie ablegten, würde er dieses Land, diese Küste und ihre Menschen nie wiedersehen, denn das Ziel dieser Reise bedeutete seinen Tod. Wieder spendete ihm der Gedanke daran Trost, dass er nicht ganz sterben würde. Sorgfältig machte er für den Vogel eine Kiste zurecht, in der er die stürmischen Seetage unbeschadet überstehen würde, und verbrachte den Rest der Zeit damit, gedankenverloren durchs Dorf zu schlendern und die Bilder der Umgebung begierig in sich aufzusaugen.
Dann ging es los. Unter den Augen der Dorfbewohner und der anderen Fürsten, die am Kai aufgereiht standen, besetzten sie die Ruderbänke. Kyrrispörr verspürte das Kribbeln der Aufregung im Magen. Da war keine Wehmut mehr, jetzt hatte er das Ziel vor Augen und den göttlichen Auftrag, den er zu erfüllen hatte. Prüfend ließ er das Schwert aus der Scheide und wieder zurückgleiten, vergewisserte sich, dass sein Pfeilköcher wasserdicht verstaut war und ergriff mit beiden Händen das Ruder.
Eyvindr selbst stand am Steuerruder und gab mit lauter Stimme den Befehl zum Ablegen. Das Boot glitt in andächtiger Stille aus der Bucht; viele Zurückbleibende waren in Gebete vertieft, andere sahen ihnen stumm nach. Das gleichmäßige Platschen der Ruder hallte von den Hängen des Fjordes wieder; einzig eine Schar startender Enten durchbrach mit Geschnatter die Stille.
Das Drachenboot schwenkte zur Öffnung des Fjordes um. Jetzt erklang ein glasklarer, melancholischer Gesang von einem Hügel her: Eine Völva stand dort, die Arme ausgebreitet, und gab ihnen Beistand mit auf den Weg. Es war ein Lied voller Traurigkeit und Kraft, ruhig und schwingend, und es berührte die Herzen der Aufbrechenden auf eigentümliche Weise; es trug die Schwere des Schicksals in sich und besaß zugleich, vielleicht auch gerade deswegen, eine unbeschreibliche Kraft. Kyrrispörr bewahrte sie tief in seinem Herzen, und sie nahm ihm die Angst vor dem baldigen Tod. Er war nicht der Einzige, dem Tränen in den Augen standen.
»Rudert! Rudert!«
Eyvinds Stimme vermochte kaum das Donnern der Wellen zu übertönen. Gischt schlug ihnen ins Gesicht. Kyrrispörr hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Augen zu Schlitzen verengt: Das Wasser machte ihn fast blind. Er war bis auf die Haut durchnässt, und die See zerrte am Ruderblatt, dass er Mühe hatte, es im Griff zu behalten. In den kurzen Phasen vergleichbarer Ruhe sah er hoch. Der Himmel war nicht zu sehen, stattdessen war es um sie herum völlig grau. Erschreckend dicht zuckten auf Steuerbord Blitze, die wie die Krallen eines Drachen ins Meer hineingriffen. An Deck waren vier Mann dabei, das Wasser mit Ledereimern aus dem Boot zu schöpfen. Von den anderen ruderten beileibe nicht alle. Der auf finnische Art in Felle gehüllte Magier vor ihm hatte das Ruder eingezogen und die Arme ausgebreitet, als wolle er die Wellen ganz allein aufhalten. Mehrere andere waren seinem Beispiel gefolgt. Der Kurs des Bootes wurde daher noch unberechenbarer. Hätte Eyvindr Kelda es nicht weiter von der Küste fortgesteuert, wären sie wohl auf ein Riff getrieben worden. Eine Böe traf Kyrrispörr wie eine gewaltige Ohrfeige.
Eyvindr herrschte die Magier an zu rudern, bis sie seiner Anweisung folgten. Als Kyrrispörr den Grund für Eyvinds Reaktion
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