Die Magie des Falken
wieder Gers mitgebracht! – Frau, wo ist meine Fibel?«
Kyrrispörr nickte, zog sich die gute Obertunika an, die Hárvar ihm für den Empfang geschenkt hatte, und fuhr in die Beinlinge. Rasch tastete er mit dem Finger über die kostbaren Lederschuhe, setzte seine Kappe auf und war schon auf dem Weg zum Hafen.
Er ging wie auf Wolken. Am liebsten hätte er bei jedem Schritt einen Luftsprung getan. Zwar wusste er, dass Laggar geschlafen haben musste, als er selbst sich hingelegt hatte, aber er hatte miterlebt, was Laggar gestern tagsüber getan hatte. Laggar ging es gut! Er konnte wieder mit seinem Geist verschmelzen! Heiabýr schien Kyrrispörr heute besonders schön, als wäre es auf Hochglanz poliert worden. Die Sonne erhellte sein Gemüt noch mehr.
Am Kai angekommen, ließ er den Blick über die Schiffe wandern. Noch war Christians Boot nicht dabei. Er sah hinüber zur Hafeneinfahrt, wo auch der Pfosten aufragte, den sich damals der weiße Ger als Ansitz gewählt hatte. Dann sah er die Knorr des Händlers. Vor Glück bis über beide Ohren grinsend, die Arme verschränkt, stellte sich Kyrrispörr vorn an den Steg, den Christian aller Wahrscheinlichkeit nach anlaufen würde. Er war glücklich.
In Kyrrispörrs Freude mischte sich jedoch eine unbestimmte Furcht. Der erste Händler des Jahres hatte schlimme Nachrichten gebracht. Was würde er von König Olaf erzählen? Was trieb ihn um, wo würde er sich als Nächstes hinwenden? Vor allem aber: Hatte Christian Neuigkeiten über Æringa? Kyrrispörr hoffte fast, dass nicht – denn es konnten doch nur schlechte sein. Und Gurun, deren Vater von eben jenen Männern erschlagen worden war, deren König sie nun zum Ehemann hatte nehmen müssen, was wurde wohl aus ihr?
So trat er wie ein kleiner Junge von einem Bein aufs andere und wartete. Doch an Christian war ausgerechnet jetzt kein Herankommen. Er wurde von Ketil in Beschlag genommen, kaum dass er sich nicht mehr ums Verladen kümmerte, und mit Ketil zog er von dannen, offensichtlich voller Vorfreude darauf, was Ketil ihm so zu bieten hatte. Kyrrispörr hatte er kurz und herzlich umarmt, war aber schon weitergezogen, ehe Kyrrispörr eine Frage stellen konnte. Kyrrispörr nahm es als ein schlechtes Zeichen. Nun war er sich sicher, dass schlechte Nachrichten auf ihn warteten. Mit zusammengekniffenen Lippen wandte er sich zum Gehen.
Als er zu Hárvas Haus zurückging, hatte er den Eindruck, jemand verfolge ihn. Aber als er sich umsah, konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Er schüttelte den Kopf.
Von Hárva erfuhr er, dass Ketil an diesem Abend ein Fest für Christian gab. Kyrrispörr nahm sich vor, bei der Gelegenheit endlich mehr über Tryggvason herauszufinden. Am Nachmittag wurde er zu einem Goldschmied geschickt, einige Zierstücke für eine Langfessel zu holen. In Gedanken versunken, ging er den Weg in die Oberstadt hinauf, als ein kleiner Junge ihm entgegenkam.
»Du bist der Falkenmann, oder?«, fragte der Kleine. »Komm mit!«
Ehe Kyrrispörr nachfragen konnte, rannte der Kleine schon wieder los, blieb in einiger Entfernung stehen und winkte ihm ungeduldig zu. Kyrrispörr zuckte mit den Achseln und folgte ihm. Er führte ihn in die Oberstadt, in einen Teil, in dem ärmliche Hütten kreuz und quer standen und teilweise so dicht beieinander, dass der Weg kaum breit genug für einen Mann war.
»Hier!« Der Kleine wies auf einen verbretterten Schuppen. Kyrrispörr öffnete den Mund, aber da war sein kleiner Führer bereits verschwunden. Er blickte auf die offene Tür. Im Inneren des Schuppens war es zu dunkel, um etwas von hier aus erkennen zu können. Der Weg war verlassen; ringsum ragten in bedrückender Enge die Lehmwände der Hütten auf. Er legte die Hand auf den Knauf seines Messers und betrat den Schuppen.
Er war leer. So schien es zumindest – bis Kyrrispörr hinter sich ein Rascheln vernahm. Er fuhr herum, zog in der Bewegung das Messer, aber eine Hand ergriff seinen Arm, und da sah er blondes Haar im Gegenlicht der Tür aufschimmern und ein weicher, ungemein inniger und sehr fordernder Kuss wollte ihn zerspringen lassen. Er blickte in eisgraue Augen: Gurun! Er spürte, wie ihre schlanken Finger in fordernder Hast über sein Gewand glitten, und war dermaßen überrascht, dass er jede Gegenwehr vergaß. Für einen Augenblick war er versucht, sich ihr hinzugeben. Dann holte sein Verstand ihn wieder ein und er sträubte sich. Gurun dachte aber gar nicht daran, ihn so einfach wieder
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