Die Magie des Falken
es.
Kein Pfeil für Olaf
Reine Gewissheit wurde erneut bestätigt, als das Wetter immer besser wurde. Ein warmer Frühling brach an, und die Winde standen ungewöhnlich günstig. Kyrrispörr gelang es, von Hárva die Erlaubnis zu bekommen, nach Norwegen zu fahren. Er erinnerte sich an den wunderbaren weißen Ger, und Hárvar hoffte sichtlich, dass ihm die Gunst der Götter vielleicht einen solchen Vogel in die Hände spielte – oder gar mehrere. Dabei ließ der Falkenmeister ihn nur äußerst ungern ziehen. Am Tag der Abreise kleidete Kyrrispörr sich mit größter Sorgfalt. Nach dem Aufstehen stellte er sich vor die Regentonne und wusch sich von Kopf bis Fuß, so beflissen, wie er es zuletzt bei den Edelsklaven des Ketil getan hatte, sogar jeder Zeh bekam seine Aufmerksamkeit. Er betrachtete sein Antlitz im Spiegel der Tonne, und ein hübscher Jüngling mit triefenden Haaren sah auf ihn zurück. Wo bei anderen die Wangen durch Pickel verunziert waren, war bei ihm samtene Haut, die Augenbrauen schlugen feine Bögen über das Augenpaar, das nachdenklich und willensstark zugleich dreinblickte. In einem Anflug von Selbstverliebtheit meinte er, Guruns Begehren verstehen zu können. Nachdem er das Haar trocken gerieben hatte, kämmte er es mit seinem Walrosskamm, bis es ihm weich auf die Schultern fiel. Er verzichtete auf Unterzeug, das auf dem Boot nur hinderlich war, und schlüpfte in den feinen Kittel mit den Zierborten, die Gurun ihm geschenkt hatte. Dann warf er den herrschaftlichen Wollmantel über und schloss die Fibel. Zuletzt schlüpfte er in weiche, hohe Lederschuhe. Dies waren die Sachen, die Hárvar ihm für den Empfang der wichtigen Herren gegeben hatte, die sich nur für die besten Falken interessierten.
Er warf noch einen Blick in die Regentonne, ehe er zufrieden zum Ausgang ging. Dort standen bereits Hárvar und seine Frau, die in ein angeregtes Gespräch mit Gurun vertieft waren.
»Ah, Kyrrispörr!«, Hárvas Gesicht leuchtete auf. »Kehre mir auch schnell zurück! Meine Knechte sind faul, oder sie können einen Sperber nicht von einem Adler unterscheiden. Die Falken brauchen dich!«
Ein mulmiges Gefühl beschlich Kyrrispörr bei diesen Worten. Wenn alles gut ging, würde er Tryggvason auf dieser Reise erschlagen und selbst nie wiederkehren. Aber er ließ sich nichts anmerken, hielt den Kopf stolz erhoben und tat zuversichtlich.
»Hier, das soll dich auf deinen Wegen schützen! Du hast es dir wahrlich verdient!«
Hárvar überreichte Kyrrispörr eine über eine Elle lange Holzkiste. Neugierig hob Kyrrispörr den Deckel an. Darin lag, in Stroh gebettet, eine schlanke Speerspitze. Kyrrispörr gingen die Augen über, als er sie aus der Kiste hob. Die Spitze war scharf und eben, die Tülle aber in Silber gekleidet und mit Tauschierungen verziert. Schwer und gefährlich lag sie in seiner Faust.
»Diesem Speer widersteht kein Kettenpanzer«, erklärte Hárvar. »Er hat das Blut vieler Männer vergossen – mein Vater zog mit ihm durch England. Er wird dich nie im Stich lassen.«
Kyrrispörr fehlten die Worte. Gemeinsam gingen sie zu einer Werkstatt, wo Kyrrispörr alsbald einen guten Eschenschaft gefunden hatte. Dann wurde es Zeit für den Abschied. Kyrrispörr wünschte Hárva und seiner Frau alles Gute, und als er sich zu Gurun umdrehen wollte – war sie verschwunden. Verwirrt blickte er sich um und sah sie auf dem Halbdeck vor den Lederhäuten der Warenabdeckung auf des Skuder stehen.
»Du fährst mit?«, fragte er erstaunt. Kyrrispörr wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Der Kapitän Einar Einarson kletterte hinterher aufs Schiff. Er ließ sofort ablegen.
Anders als bei Handelsschiffen üblich, hielten sie wieder nicht an den Märkten entlang der Küste, sondern fuhren zügig gen Norwegen weiter. Das kleine Handelsschiff hätte ohnehin kaum Raum für andere Ware gehabt als jene, die speziell für ihr Ziel bestimmt war.
Kyrrispörr machte sich nützlich, soweit es möglich war. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr sein Herz an der Schifffahrt hing. Als er das erste Mal seit fast einem Jahr wieder Meerwasser schmeckte, hüpfte sein Herz vor Freude.
Die Überfahrt verlief ohne Zwischenfälle. Als in der Ferne das Band der norwegischen Berge in Sicht kam, setzte ein feiner Nieselregen ein, aber das war auch schon alles. Kyrrispörr war recht dankbar, dass er rudern konnte: Guruns Nähe verunsicherte ihn.
Njörd war ihnen gewogen. Kyrrispörr hatte mit den Seeleuten ein kleines
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