Die Magie des Falken
sich vergewissert hatte, dass das Boot fest stand, verließ er seinen Platz am Ruder und ging vor.
»Þrostein, Alf, ihr bleibt hier. Die anderen, ihr kommt mit.« Sie legten ihre Kampfmesser und Einar sein Schwert um, und Kyrrispörr schlug Hárvas Speer aus seiner Lederhülle. Nachdem sie den Sitz ihrer Mäntel überprüft hatten, gingen sie von Bord. Zuerst sprang die Besatzung des Skuder ins Flachwasser, dann folgten Gurun und Kyrrispörr. Am Ufer wurden sie bereits von den Dorfbewohnern erwartet. Sie alle trugen Waffen: Die Herren Äxte und Helme, die Knechte Bögen, Schleudern und Knüppel. Doch als sie Einar erkannten, hellten sich ihre Mienen auf.
»Es ist Einarson!«, rief ein stämmiger junger Mann. Wie von Zauberhand tauchten die Frauen und Kinder auf. Die Männer nahmen ihre Helme ab und begrüßten die Ankömmlinge herzlich. Als der alte Hersir zu Gurun kam, ein Fischer mit silbergrauem Bart und faltenzerfurchtem Gesicht, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen.
»Bist du nicht Jarnskegges Tochter?«, rief er. Sein Sohn, ein vierschrötiger Mann Mitte Zwanzig, sah nicht minder erstaunt zu ihr hinüber. Gurun lächelte bescheiden und senkte zustimmend das Haupt. Der Älteste war sichtlich bewegt, sie hier zu sehen.
»Gut, gut«, murmelte er. Dann nickte er Einar Einarsson zu und rief: »Packt an, das Boot muss an Land!«
»Herrscht Gefahr?«, erkundigte sich Kyrrispörr vorsichtig bei einem Knecht mit offen wirkendem Gesichtsausdruck, als sie das Schiff an Land gezogen und die Waren von Bord geschafft hatten. Der Mann wiegte den Kopf.
»König Olafr sendet seine Flotte die ganze Küste rauf und runter. Wer weiß, ob sie nicht auch hier auftauchen. Man hört so manches.«
Als sie zum Langhaus gingen, sah Kyrrispörr hinter grasenden Rindern eine einzeln stehende Hütte, die unschwer als Þórrsschrein zu erkennen war. Er fragte sich, ob die Menschen eine Vorstellung davon hatten, wie groß Olafs Heer war – wenn er dieses Dorf fand, würde es den einen Christengott annehmen und Olaf als König, oder brennen, da würden Waffen wenig nützen. Andererseits hatte der Älteste Gurun erkannt, musste also ganz gut informiert sein.
Kyrrispörr erwartete das Essen mit Heißhunger. Sie saßen in dem geräumigen Langhaus, das er vom Boot aus gesehen hatte, an einer langen Tafel; vom abgetrennten Kochraum duftete eine Fischsuppe herüber, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Manchmal hatte er das Gefühl, der Stockfisch der Reiserationen machte nur noch hungriger. Seinen Speer hatte er an den Pfosten neben seinem Platz gelehnt, einerseits, weil er sich an der eleganten Spitze nicht sattsehen konnte, andererseits, weil er gewiss nicht mehr unvorbereitet sein wollte. Wieder vermisste er Laggar schmerzlich.
»Mein Onkel hat Neues von König Tryggvason zu berichten gehabt«, erzählte der Hersir, nachdem der Begrüßungssprüche und Gebete Genüge getan worden war. Endlich wurden die Schüsseln mit Suppe gebracht und dazu knuspriges dünnes Brot, das mit allerlei Gemüsen belegt war.
»Er hat den Magier Kinnrifa mit List gefangen und ihm eine glühende Pfanne auf den Bauch gesetzt. Jetzt sammelt er Männer gegen Rau, mein Onkel hat selbst den Ruf zu den Waffen von Olaf bekommen!«
Kyrrispörr hörte nur noch mit halbem Ohr zu – er brach das Brot und nestelte den Holzlöffel von seinem Gürtel, um sich über die Fischsuppe herzumachen. Es war eine unbeschreibliche Wohltat, nach der eisigen Gischt etwas Heißes in den Magen zu bekommen. Er freute sich schon auf den Abend.
Während er aß, berichtete der Hersir von Olaf Tryggvasons Taten. Es hörte sich an wie ein unaufhaltsamer Siegeszug: Nach und nach brach König Olafr den Widerstand auch seiner mächtigen Widersacher, mal mit List und Heimtücke, mal allein mit der Übermacht seiner Flotte. Jedes Dorf, das auf seinem Weg lag, wurde zum Christentum bekehrt, und zusammen mit dem einen Gott an Olaf als den neuen König gebunden. Das Schicksal Eyvind Kinnrifas enthielt für sich genommen bereits Stoff für eine ganze Saga und war doch nur bezeichnend für Olaf: Zwei seiner Gefolgsleute namens Sigurdr und Haukr hatten die Gastfreundschaft Harek von Þjottu den Winter über genutzt, um sein Vertrauen zu erschleichen, hatten ihn sodann bei einem gemeinsamen Bootsausflug im Frühling zum König entführt, der Harek vergeblich bekehren wollte und ihn wieder heimkehren ließ. Harekr schickte Nachricht zum Seimanni Eyvind Kinnrifa, um ihn über
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