Die Magie des Falken
du?«, sagte Kyrrispörr zu Hvelpr, der inzwischen wieder bei Besinnung war. Zuerst hatte er sich gegen die Fesseln gestemmt und sogar versucht, Kyrrispörr zu beißen. Als ihm die Sinnlosigkeit seines Unterfangens deutlich geworden war, hatte er sich an die Bordwand gelehnt und trotzig ins Nichts geschaut.
»He, was erzählst du für einen Unsinn?«, Kyrrispörr stieß Hvelp mit dem Fuß an.
»Was erzählst denn du?«, zischte Hvelpr zurück.
»Bei Oinn, ich wollte dich nicht töten!«
Hvelpr zischte nur abfällig durch die Zähne.
»Ich kann dich wenigstens losbinden. Wenn du schwörst zu bleiben.«
Doch Hvelpr schüttelte nur den Kopf. Kyrrispörr seufzte.
Als sie wieder ihm Dorf angelegt hatten, streckte Hvelpr Kyrrispörr wortlos die gefesselten Hände hin.
»Schwör bei Oinn.«
»Nein. Bei Gott dem Herrn«, erwiderte Hvelpr feindselig. »Bei dem schwöre ich.«
Kyrrispörr zuckte mit den Achseln. Rasch waren Hvelps Fesseln gelöst.
»Glaubst du mir endlich?«, erkundigte sich Kyrrispörr.
»Dir glauben?«, brach es aus Hvelp heraus. »Und das?« Er riss den Ausschnitt seines Kittels beiseite, sodass seine rechte Schulter entblößt wurde. Eine breite Narbe zog sich vom Schultermuskel über Jochbein und Hals, bis knapp vor die Wirbelsäule. Kyrrispörr erinnerte sich an das Bild des gefallenen Freundes mit dem Pfeil im Nacken, als wäre es gestern gewesen.
»Das … Das war ich nicht! Das war ein Pfeil!«
»Das war ein Schwerthieb!«, behauptete Hvelpr. Kyrrispörr starrte ihn an.
»Das hat man dir erzählt?«
»Erzählt? Ja, nachdem ich eine Woche lang im Fieber lag! Fast hättest du Erfolg gehabt! Wo du mir schon nicht den Kopf abschlagen konntest!«
»Das war ein Pfeil!«, wiederholte Kyrrispörr. »Bei Oinn, es ist gelogen, dass das mein Schwert angerichtet haben soll! Schau doch, wie soll ein Schwert denn so eine Narbe schlagen! Dein Jochbein wäre durch gewesen, ach was, dein Kopf wäre fort, wenn das ein Hieb gewesen wäre! Außerdem hatte ich gar kein Schwert mehr!«
»Red dich nicht raus! Wer soll den Pfeil abgeschossen haben? Sag mir lieber, weshalb du ausgerechnet mich töten wolltest! Du wolltest mich Oinn opfern, um dein Leben zu retten, nicht wahr? Und ich dachte, wir wären wie Brüder!«
Kyrrispörr sah erneut, wie tief Hvelpr verletzt war. Ehe er etwas erwidern konnte, kamen ihnen Gurun und der Hersir mit einigen Dorfbewohnern entgegen.
»Ist er tot?«
»Ich lebe noch«, erwiderte Kyrrispörr. Gurun verhielt sich merkwürdig: Einerseits sah sie aus, als würde sie vor Glück über seine Rückkehr gleich in Tränen ausbrechen, andererseits war da tiefe Enttäuschung darüber, dass Tryggvason noch am Leben war. Schließlich gewann ihre Erleichterung die Oberhand, und sie umarmte ihn fest.
»Ich ahnte ja nicht, wie viel du mir bedeutest! Ich ahnte es nicht.«
Gurun nahm sich zusammen – die Tochter des bedeutenden Bœndi Jarnskegge wusste genau, was die Menschen von ihr erwarteten. Nun fiel Kyrrispörr auf, dass einige neue Zelte vor dem Hof aufgeschlagen worden waren. Und am Ufer lag ein schlankes Drachenschiff an.
»Wer ist das?«, wollte er wissen.
»Komm mit«, sagte Gurun und führte ihn zum Langhaus. Beinahe hätte Kyrrispörr Hvelp vergessen, der mit feindseliger Miene und unter den wachsamen Blicken Æthelstans neben ihm gestanden hatte.
»Komm mit, Dickkopf. Æthelstan, pass auf, dass er nicht entwischt.«
Im Langhaus hatte sich ein Þing versammelt. Über ein Dutzend Männer saßen an der langen Tafel und sahen ihm erwartungsvoll entgegen. Gurun nahm zur Rechten des Ältesten am Kopfende Platz.
»Als Erstes berichte von deiner Expedition«, bat der Älteste. Kyrrispörr war neugierig, vor welchen Herren er hier sprach, aber er musste seine Neugier bändigen. Knapp und präzise schilderte er, was er erlebt hatte; die Kämpfe streifte er nur und Hvelp verschwieg er ganz, erzählte aber umso ausführlicher von der Hinrichtung des Rau. Betretenes Schweigen folgte seinen Ausführungen.
»Doch nun vergebt mir meine Neugier, woher kommt ihr Herren? Wer seid ihr?«, fragte er.
»Dies«, sagte Gurun, nachdem der Hersir ihr zugenickt hatte, »dies, Seimar Kyrrispörr, ist deine Mannschaft!«
Kyrrispörr fiel aus allen Wolken.
»Meine …«
»Der Drache dort draußen ist ein Geschenk der Bœndi, die das Joch König Olafs nicht dulden. Das Ross der Wellen wird dich sicher gegen den König tragen, damit du deine Rache vollenden kannst!«
»Mein Schiff!«
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