Die Magie des Falken
im Sonnenschein. Sie schwenkte ein auf den Helm des Königs. Kyrrispörr spannte die Sehne, bis er an den Fingerknöcheln der Bogenhand die Kälte der Eisenspitze fühlte. Etwas tiefer … Da schob sich ihm der Rücken eines Mannes in die Schusslinie. Nur ruhig, befahl Kyrrispörr sich. Du hast nur diese eine Gelegenheit. Er ließ den Pfeil mit dem Goldhelm mitwandern. Noch immer bot sich ihm kein klares Schussfeld. Eine Lücke, betete er, nur eine Lücke! Dass er kein geübter Schütze war, spielte keine Rolle. Der Pfeil würde sein Ziel finden. Wenn es endlich Gelegenheit dazu gab, ihn abzuschießen.
Kyrrispörrs Arm bebte vor Anstrengung, den Bogen aufgezogen zu halten, als der König zum Eingang kam und ihm den Rücken zuwandte. Jetzt tat sich endlich eine Lücke auf … und Korbjörnr ließ König Olaf den Vortritt ins Haus und stellte damit sein breites Kreuz zwischen Kyrrispörr und sein Opfer. Kyrrispörr ließ den Bogen sinken und schüttelte den schmerzenden Arm. Er zog sich wieder hinter die Hütte zurück.
Bald ließen die Schreie im Haus nach. Der Kampf war vorbei: Nacheinander wurden Raus Männer ins Freie gezerrt. Sie bluteten aus unzähligen Wunden. Zuletzt, dicht gefolgt vom König selbst, kam Raur heraus. Er humpelte. Kyrrispörr spähte nach einer guten Schussposition, aber immer stand ihm jemand im Weg. Er sah sich gezwungen, weiter zurückzuweichen, um nicht zufällig entdeckt zu werden. Es war zum Verzweifeln. Die Priester Olaf Tryggvasons, deren Kreuze wie übergroße Flügellanzen emporragten, fragten jeden von Raus Gefolgsleuten, ob er Christ und damit Olafs Untertan werden wollte – wer verneinte, wurde beiseite geschafft, wer sich aber unterwarf, sollte freikommen, sowie Geiseln gestellt wurden. Als die Reihe an Rau kam, spie er nur aus. Da ließ Olafr ihn an einen herumliegenden Balken binden und gab seinen Leuten einen Befehl. Raur stieß unablässig Flüche aus, bis einer von Olafs Männern seinen Kopf in den Nacken bog und ihm einen spitzen Holzdorn zwischen die Kiefer klemmte. Kyrrispörr lauerte darauf, dass Olafr die Hinrichtung selbst vollzog, da das Schussfeld recht günstig wäre. Enttäuscht ließ er den Bogen wieder sinken, als Olafs Leibwächter Korbjörnr vortrat. Er hielt etwas Langes, Dünnes mit beiden Händen weit von sich. Im ersten Augenblick dachte Kyrrispörr, es handle sich um ein Seil. Dann sah er, dass das Seil von einem unheimlichen Eigenleben erfüllt war: Es wand sich im Griff des Riesen. Denn es war kein Seil, sondern eine Schlange, die Korbjörnr nun dem Mann in den Rachen stopfen wollte. Gebannt vor Grauen, beobachtete Kyrrispörr, wie Korbjörnr offenbar Schwierigkeiten mit der Schlange hatte. Es hatte den Anschein, als würde sie sich vom Gesicht des Mannes fortwinden. Schließlich rief Korbjörnr ungeduldig:
»Ein Nebelhorn!«
Er bekam eines gereicht. Nachdem ihm außerdem ein glühendes Scheit aus dem Herdfeuer gereicht worden war, verbrannte er Rau damit nicht etwa das Gesicht, wie Kyrrispörr es erwartet hatte, sondern ließ ihn das enge Ende des Horns von einem Helfer in den Mund stopfen und trieb nun mithilfe des glühenden Holzscheits die Schlange durchs Horn. Die plötzlichen, gellenden Schreie des Gefesselten bestätigten alsbald den Erfolg. Raur bäumte sich auf, verstummte mit einem Gurgeln und wand sich zu Füßen Korbjörns. Und jetzt, endlich, trat König Tryggvason neben ihn, und sein Königsmantel bot Kyrrispörr ein leuchtendes Ziel. Er zog den Bogen aus der Bewegung heraus auf, die Spitze schwenkte auf Olaf Tryggvason ein – und jemand fiel ihm in den Arm. Instinktiv riss Kyrrispörr den Bogen herum und ließ sich zurückfallen, der Pfeil schnellte von der Sehne, über vierzig Pfund Zuggewicht schlugen, in eine daumengroße, rasiermesserscharfe Spitze gebündelt, in den Kettenpanzer des Kriegers, der Kyrrispörr hatte aufhalten wollen, durchdrang mühelos den Körper bis hinter die Befiederung und trat an seinem Rücken wieder hervor. Kyrrispörr blickte in das kreidebleiche Gesicht Feilans. Sein Schwert fiel ihm aus der Hand, als er ohne einen Laut zur Seite kippte und auf dem Gras aufschlug. Kyrrispörr blickte entgeistert auf ihn herab. Doch ehe er richtig begreifen konnte, was gerade geschehen war, gewahrte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung.
Er ließ den Bogen fallen, griff den Speer und attackierte den zweiten Krieger. Der erste Stoß traf seinen Gegner am Kopf, glitt jedoch wirkungslos am Brillenhelm ab. Doch Oinn
Weitere Kostenlose Bücher