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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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was die Tochter eines von einem Missionar ermordeten Heiden von christlichen Geschenken hielt. Doch er wusste nur zu gut, dass das Problem damit nur aufgeschoben war. Auch so war die Stimmung allerdings beinahe unerträglich, wenn die beiden Frauen in einem Raum waren – und da Hárvas Haus nur aus Vogelbereich, Schlafkammer und Koch- und Werkbereich bestand, war das nahezu immer der Fall.
    Am nächsten Tag kam Æringa zu ihm und bat ihn, mit ihr zu kommen. »Ein Freund möchte mit dir reden.«
    »Wer denn?«
    »Wirst du sehen.«
    Hvelps fragenden Blick beantwortete Kyrrispörr mit einem Kopfschütteln. Hvelpr wollte ihn seit Agantyrs Überfall nicht mehr aus den Augen lassen. Aber heute würde er es müssen. Kyrrispörr folgte Æringa. Bald merkte er, dass Æringa in Richtung nördliches Stadttor ging.
    »Wohin?«, fragte er, aber Æringa antwortete nicht, sondern beschleunigte ihre Schritte. Zuerst dachte er, sie wolle ihn zur alten Feste führen, die zur Linken auf einem Hügel hockte und die Schlei und das Noor überblickte. Aber Æringa nahm nicht den Weg zur Burg, sondern ging immer geradeaus, unter ihr vorbei. Jetzt erkannte Kyrrispörr, wo es hingehen sollte: Dort hinten, wo die Schlei einen großen See bildete, hob sich der Schattenriss der Kirche gegen die Wasserfläche ab.
    Als sie den dämmrigen Innenraum der Holzkirche betraten, war gerade ein kleingewachsener Maler in fremdländischer Tracht dabei, eine in einen schneeweißen Schal gehüllte Frau auf ein Heiligenbild zu porträtieren. Kyrrispörr blieb im Eingang stehen: Es war ihm, als betrete er feindliches Gelände. Hier gehörte er nicht hin. Hier herrschte ein Gott, der nicht der seine war. Und der die Stirn hatte, allen anderen Göttern ihre Göttlichkeit abzusprechen – ein Herrschsüchtiger wie Olafr Tryggvason.
    Æringa ging selbstbewusst hinein und fragte im Flüsterton den Maler etwas. Wenig später kehrte sie mit einem hageren Mann zurück, der eine Kutte und ein großes Holzkreuz vor der Brust trug.
    »Er wünscht die Prima Signatio. Heute soll er den Segen empfangen!«
    »Ja. Wartet hier. Die Segnung erfolgt bald, wenn die anderen eingetroffen sind.«
    So warteten sie auf der Wiese vor der Kirche, bis einige weitere Anwärter für die Prima Signatio eingetroffen waren. Kyrrispörr genoss Æringas Nähe – wäre es nach ihm gegangen, hätten sie getrost noch lange hier ausharren können. Aber dann begann die Feier, und als er mit den anderen die Kirche betrat, da lief ihm ein Schauer über den Rücken. Zudem blieb diesmal Æringa am Eingang stehen, damit kein falscher Verdacht aufkäme, der merkwürdige Gerüchte zeugte. So frei sie in Norwegen gewesen war, so vorsichtig verhielt sie sich nun hier in der Stadt.
     
    Die Prima Signatio dauerte bis in den Abend. Gemeinsam mit den anderen begaben sie sich zurück nach Heiabýr, und ein jeder trug nun ein Kreuzchen um den Hals. Erst, als sie in die Gassen eintauchten und für einen Augenblick unbeobachtet waren, fiel Æringa Kyrrispörr um den Hals.
    »Ich bin ja so froh«, flüsterte sie und drückte ihm einen unbeschreiblich warmen Kuss auf die Wange. Kyrrispörr verging geradezu vor Freude. In der Nacht versuchte er vergeblich einzuschlafen. Das kleine Silberkreuz war wie ein Fremdkörper. Irgendwann gab er es auf und tappte hinüber zu den Vögeln. Er hörte ihnen dabei zu, wie sie im Schlaf mit dem Gefieder raschelten oder im Traum zwitscherten. Auch Laggar stand aufgeplustert auf einem Bein.
    Habe ich einen Fehler gemacht? Oinn? Ich bin dir weiter treu, dachte Kyrrispörr. Er spürte die Stärke des Bandes, das ihn mit Laggar verband, den gleichmäßigen Herzschlag des Falken, die Ruhe, die von ihm ausging, und war beruhigt. Seine Magie hatte nicht nachgelassen. Die Primsegnung störte die Geister nicht.
    Er blieb noch bis zum Morgengrauen da und vergewisserte sich, dass dieser Eindruck nicht täuschte. Zum ersten Hahnenschrei kroch er wieder unter die Decke, zitternd ob der Morgenkälte, die seinen Leib durchdrungen hatte. Kaum schloss er die Augen, erwachten die anderen und bereiteten sich auf den neuen Tag vor. Kyrrispörr blieb nichts anderes übrig, als mit ihnen aufzustehen.
    »Was hast du denn da um den Hals?«, fragte Gurun, als er mit bloßem Oberkörper zur Regentonne ging.
    »Das kommt von mir«, ließ sich Æringa vernehmen. Kyrrispörr wich sicherheitshalber zurück, denn die Frauen erweckten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick aufeinander losgehen

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