Die Magie des Falken
zu erwidern: Dass dort ein geheimer Bote des Königs wartete, schien ihm nun gewiss.
»Ich gehe so lange rüber zu den Schmuckhändlern«, riss Æringas Stimme ihn aus den Gedanken, als sie am Hafen angekommen waren. »Hole mich, wenn du so weit bist!«
Kyrrispörr nickte und trennte sich von ihr, um mit pochendem Herzen in Richtung des alten Speichers zu gehen.
Sein Weg führte ihn an einigen kieloben gelagerten Booten vorbei, die hier gereinigt wurden. Es roch nach altem Fisch und Tang. Schabegerät und allerlei Lumpen lagen bei den Booten: Das Tagwerk war beendet. Erst jetzt fiel Kyrrispörr auf, dass er den Hafen noch nie so einsam erlebt hatte. Er passierte einige alte Fässer, die ausgedient hatten und höchstens noch als Brunnenschächte taugten, kam an einem Stoß Bretter vorbei und stand vor dem alten Speicher. Es war ihm ein Rätsel, weshalb das ungewöhnlich große Langhaus nicht instand gesetzt worden war. Der Lehm war von der Stirnseite zu großen Teilen abgeplatzt und gab Weidengeflecht frei, die Strohdeckung des Daches war graugrün angelaufen, mit Moos und Gräsern bewachsen und faulte vor sich hin. Die großen Torflügel waren eingedrückt und hingen schief in den Angeln. Was für ein Platz für ein Treffen, schoss es Kyrrispörr durch den Sinn. Unwillkürlich legte er die Hand auf das Heft seines Kampfmessers, das zum Prachtgewand gehörte. Als er vor dem Tor stand, zwang er sich, sich zu entspannen. Ein Bote erwartete ihn hier. Kein Feind.
Er sah sich unsicher um, dann fasste er sich ein Herz und betrat den Innenraum. Es roch muffig und durch ein Loch im hinteren Bereich des Daches schien düsteres Licht. Selbst das Gold der Abendsonne verlor sich hier und wurde stumpf. Überall lagen Bündel von abgelegtem Material, Schutt, minderwertigen Häuten, morschem Holz, Säcken mit fauligem Getreide, und entlang der armdicken Stützbalken hingen schlaffe, halbgegerbte Wildschweinhäute voller Löcher, kaputte Fischernetze und mottenzerfressene Tücher. Etwas weiter drinnen hatte jemand das Haus als Lager für kaputtes Gerät genutzt. Es stank nach Ratten.
Er drehte sich um seine eigene Achse und blickte ins Rund.
»Hallo?«, rief er ins Dunkel. Nichts regte sich. Plötzlich vernahm er ein schleifendes Geräusch aus einer Ecke. Vorsichtig tappte er in die Richtung; ihm wurde langsam klar, dass hier kein königlicher Bote auf ihn wartete. Seine Hand ballte sich fester um den Griff des Messers, er drückte sich behutsam um einen Stützbalken – da legte sich ein Arm um seinen Hals und eine Hand um seine Rechte, und riss ihn mit Gewalt zurück gegen den Stützbalken. Er schlug mit dem Hinterkopf dagegen und sah Sterne, dann traf ihn ein Faustschlag in die Magengrube. Er wollte sich krümmen, aber seine Arme wurden ihm auf den Rücken gedreht, ein Seil um die Handgelenke geschlungen, um den Balken gelegt und so fest angezogen,dass er aufschrie. Sofort traf ihn ein Handkantenschlag gegen die Kehle und erstickte jeden weiteren Laut. Eine Funkengarbe knisterte vor seinen Augen auf, durchschnitt die Schwärze mit roten Dornen, und ließ einen Geruch zurück, der Kyrrispörr bekannt vorkam und aus unerklärlichen Gründen sein Herz losrasen ließ. Er begann zu zittern und eine Todesangst zu verspüren, die er zuletzt …
»Der Magier ist zurückgekehrt«, raunte eine wohlvertraute Stimme in sein Ohr. Kyrrispörr musste seine gesamte Willenskraft aufbieten, um sich nicht zu benässen. Die Angst war unbeschreiblich und war durch Magie noch verstärkt worden.
»Diesmal wirst du nicht einfach davonkommen. Du hattest deine Zeit.«
Ein Tau wurde um seinen Bauch gelegt und über seinen Leib emporgehoben, bis es ihm wie ein lockerer Halsreif um die Schultern lag. Kyrrispörr zappelte in seinen Fesseln, aber er erreichte nicht mehr damit, als dass sie tiefer ins Fleisch schnitten.
»Das hatte ich vergessen«, raunte Agantyr, denn es war kein anderer als der alte Magier der Stadt. Kyrrispörr bog sich durch, als ein Messer ihm in den Arm schnitt. Finger pressten das Blut hervor und fingen es in einer Schale auf. Dann zog sich das Seil plötzlich zu: Agantyr band es hinter dem Balken ganz langsam zusammen. Kyrrispörr schnappte nach Luft, als das Tau seinen Hals fester und fester umschloss. Das Blut rann ihm stärker den Arm hinunter und in das Gefäß. Er merkte, wie seine Zunge hervortrat und riss die Augen auf; er bog sich durch wie ein überspannter Bogen, schwarze Schlieren liefen über seine Augen, und als
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