Die Magie des Falken
wollen.
»Ein Kreuz? Du hast ihn getauft?« Guruns Miene verdunkelte sich.
»Primsegnung!«, schnappte Æringa. »Und taufen wird er sich noch lassen, das sage ich dir.«
»Du kleines Weib, du Magd, wie kannst du es wagen! Kyrrispörr gehört mir! Mir, der Tochter des Jarnskegge, Sprecher der Bœndi!«
»Gar nichts gehört dir!«, keifte Æringa zurück. Hárvas Frau Vigtis musste sie zurückhalten, damit sie sich nicht auf Gurun stürzte. »Magd hast du mich genannt? Ja?«
»Weil du eine bist! Bilde dir nicht ein, du wärest eine freie Frau!«
»Neid ist es!« Æringa lachte auf eine Art, die Kyrrispörr ihr gar nicht zugetraut hätte, voller Hohn und Spott. »Wo ist denn dein so mächtiger Vater! Nein, hier sind wir gleich, und wenn es dir nimmermehr passen mag!«
»Mein Vater?« Jetzt war es Gurun, deren Stimme schrill wurde. Hvelpr zerrte Kyrrispörr beiseite.
»Da ist nichts zu machen«, flüsterte er und warf sich Wasser ins Gesicht.
Es dauerte wieder bis zum Abend, bis Æringa und er ohne Zaungäste miteinander reden konnten. Æringa war immer noch sichtlich mitgenommen von ihrem Streit mit Gurun. Aber sie erwähnte ihn mit keinem Wort. Stattdessen strahlte sie übers ganze Gesicht, als sie sich in einer Nische auf Hárvas Hof ansahen.
»Ich liebe dich!«
Es war eigentlich nur die Aussprache dessen, was sie beide schon lange wussten. Trotzdem bewegte es Kyrrispörr so sehr, dass ihm vor Glück die Tränen in die Augen schossen.
»Und ich … ich dich auch! So lange schon.«
»Seit ich dich gepflegt habe«, gestand Æringa.
»Ja … genau!« Behutsam fuhr er mit den Fingern ihre Gesichtszüge nach und atmete ihren Duft.
Es war bereits dunkel, als sie sich immer noch schweigend in den Armen lagen und die Nähe des anderen genossen.
»Wir müssen rein«, flüsterte Kyrrispörr irgendwann.
»Sag mir vorher noch, Kyrrispörr«, Æringa blickte ihn an, »denkst du immer noch an Rache?«
Kyrrispörr war verwundert. »Natürlich!«
»Du kennst das Wort Gottes?«
Sie strich ihm sanft übers Kinn und betrachtete das Silberkreuz an seinem Hals. »Des Gottes, dessen Primsegnung du empfangen hast. Sein Sohn ist Jesus, und er hat die Menschen zum Sündenmahl geladen – so halten wir es auch bei der Messe: Alle teilen mit allen. Die Reichen essen nicht für sich, sondern geben den Armen ab. Sogar die Sklaven sind gleich.«
»Er hat mit Sklaven gegessen, als wären sie Herren? Er hat sich nicht von ihnen bedienen lassen?«
»Nein, er hat mit ihnen gegessen. Das ist seine Botschaft: Sich zu lieben, und nicht, sich gegenseitig zu bekämpfen.«
»Na, von der Liebe habe ich bei Tryggvason nicht gerade viel bemerkt«, erwiderte Kyrrispörr und dachte an das brennende Haus der Seimenn. »Natürlich muss ich meinen Vater rächen.«
»Nein, das musst du nicht. Das ist Gottes Botschaft: Wir sind alle Sünder, deswegen sollen wir unseren Schuldigern vergeben. Nur so werden wir Frieden finden. Denke doch, eine Welt, in der es keine Rache gibt, und bald keinen Hass und Neid – wäre das nicht wunderbar?«
»Ja«, sagte Kyrrispörr, der von ihren Ansichten verwirrt war. Solcherlei Gedanken hatte er sich noch nie gemacht – sie widersprachen schlicht jeder Erfahrung.
»Ja?« Æringa drückte ihm einen Kuss auf die Wange, der Kyrrispörr noch mehr überwältigte als der erste. »Vergiss deine Rache. Mächtig ist der, der zu vergeben lernt. Du bist so geachtet hier, wir können uns vermählen und glücklich werden!«
»Vermählen?«
War er bis jetzt schon von Gefühlen der Verwirrung einerseits und des Glücks andererseits durchgeschüttelt worden, wurde er von dieser Ankündigung vollends umgeworfen. Das Glücksgefühl, das ihn überwältigte, war unbeschreiblich und überdeckte für einen Moment vollständig jeden Gedanken an Æringas Wunsch wegen Gnade. Im Augenblick hätte Kyrrispörr alles für Æringa gegeben.
»Du guckst wie ein Frosch«, kicherte Æringa, »komm her!«
Und dann geschah, was Kyrrispörr sich höchstens in seinen Träumen ausgemalt hatte, ja, was diese alle sogar noch haushoch übertraf – sie küsste ihn nicht, wie sonst, auf die Wange, sondern auf den Mund, gierig und heiß, und er erwiderte den Kuss mit nicht geringerer Heftigkeit. Größer noch war das Gefühl als zu jenen Momenten, wo er mit Laggar vereint hoch am Himmel dahinzog, unvergleichlich mächtig und alles erschütternd.
Kyrrispörr ging wie auf Wolken. Wenn die Frage der Rache aufkam, verdrängte er sie, denn
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