Die Magier 04. Kinder der Ewigkeit - Le Doyen Eternel
beantwortet Ihr eigentlich all unsere Fragen?«, sagte sie unvermittelt. »Warum behaltet Ihr dieses gefährliche Wissen nicht für Euch?«
»Ich bin Nol der Lehrende«, erwiderte der Ewige Wächter freundlich. »Es ist meine Aufgabe, Eure Fragen zu beantworten. Die Sterblichen müssen die Wahrheit kennen und akzeptieren, bevor sie die Harmonie erreichen.«
»Die Harmonie?«, rief Lana aus. »Das Zeitalter von Ys?«
»So nannte es das Kind Eurydis«, sagte Nol.
Die Priesterin wollte weiterfragen, doch ihr versagte die Stimme. Das Zeitalter von Ys war eine der Grundfesten ihres Glaubens. Es war das höchste Ziel der Emaz des Großen Tempels, Sinn und Zweck des universellen Strebens nach Moral und den drei Tugenden der Göttin: Wissen, Toleranz, Frieden. Im Zeitalter von Ys würden die Menschen in Achtung und Liebe zusammenleben.
»Versammelt Ihr deshalb alle zwei Jahrhunderte Gesandte aus jedem Land der bekannten Welt?«
»Nicht alle zwei Jahrhunderte, sondern wenn zehn menschliche Generationen vergangen sind«, sagte Nol.
»Darum geht es also?«, fragte Lana verzückt. »Ihr kämpft für das Zeitalter von Ys?«
»Das muss ich tun«, antwortete Nol, der einem sehr viel mächtigeren Befehl zu folgen schien als seinem eigenen Willen. »Ich zeige den Sterblichen die Götterkinder und schicke sie dann zurück in ihre Welt. Das Schicksal der Menschheit hängt davon ab, was sie aus diesem Wissen machen.«
»Manche gründen eine Religion«, dachte Corenn laut. »Eine moralistische oder eine dämonistische.«
»Andere beschließen, das Geheimnis für sich zu behalten«, warf Bowbaq ein, dem ihre Vorfahren in den Sinn kamen. »Es wäre viel zu gefährlich, dieses Wissen preiszugeben«, sagte er nachdenklich. »Es wäre unhöflich.«
Corenn sah zu Grigáns regloser Gestalt hinter den tanzenden Flammen. Der Krieger hätte seine Meinung zu dieser Frage sicher nicht zurückgehalten. Mutter Eurydis, wann kommt er endlich wieder zu sich?, dachte sie traurig.
»Deshalb habt Ihr uns so freundlich empfangen«, sagte Yan. »Jedem, der es wünscht, steht Ihr als Lehrer zur Verfügung.«
»Nur selten suchen mich Sterbliche von selbst auf«, sagte der Ewige Wächter. »Es wundert mich, dass Usul Euch die göttliche Berührung hat zuteil werden lassen. Ich empfange sonst eher Schüler von Luree oder Eurydis.« An Lana gerichtet fügte er hinzu: »Einer von ihnen war Comelk.«
»Comelk! Der Sohn von König Li’ut!«, rief sie begeistert. Wie viele Heilige waren im Laufe der Jahrhunderte ins Jal’dara gekommen? Wie viele grausame Tyrannen, Despoten und Anhänger der schwarzen Götter? Die Geschichte der Menschheit wurde in diesem Tal geschrieben …
In ihre Gedanken vertieft, bemerkte Lana die Überraschung, die sich auf den Gesichtern der anderen abzeichnete, erst nach einer Weile. Ihre Freunde starrten auf etwas hinter ihr. Die Maz nahm all ihren Mut zusammen und drehte sich langsam um. Sie hatte mit allem Möglichen gerechnet, nur nicht mit dem, was sie nun sah.
Ein Kind. Einen sechs- oder siebenjährigen nackten Jungen, so sauber, als wäre er soeben dem Fluss entstiegen. Einen der künftigen Götter der Menschheit.
Das Kind starrte fasziniert in die Flammen. So stand es eine Weile da, und niemand wagte sich zu rühren.
Schließlich hob es den Blick, sah zu Nol hoch und zeigte mit einem Finger auf das Feuer. »Karu!«, rief es strahlend, als rechnete es mit einer Belohnung, weil es das richtige Wort kannte.
Das Tol’karu. So hatte Saat seinen Palast genannt. Die wallattischen Krieger sprachen den Namen Tolt’k’aru aus, was wiederum mit »die zerstörerische Festung« übersetzt werden konnte.
Zamerine wusste nicht, ob es Absicht war oder ob Saat einfach nur Glück gehabt hatte: Im Aberglauben des Ostens war das Tolt’k’aru ein legendärer Ort. Indem Saat ihn Wirklichkeit werden ließ, sicherte er sich die Gefolgschaft der Barbaren. Nichts schien ihn aufhalten zu können.
Der Judikator wartete auf die Ankunft seines Meisters, den er gleichermaßen fürchtete und bewunderte. Zum dritten Mal in dieser Dekade hatte der hohe Dyarch ihn in die Vorhalle des Tol’karu zitiert, und wie immer ließ er ihn warten.
Nur Saats vermeintlichem Sohn war es erlaubt, sich frei im Palast zu bewegen. Die anderen - Chebree, Gors der Zimperliche, Saats Hauptmänner und Zamerine selbst - durften ihn nur in Begleitung des Meisters betreten. So fasste sich der Zü in Geduld und ließ seine Gedanken schweifen.
Mit einem
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