Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
begannen, in bläulich pulsierendem Schein zu leuchten. Ihre Aura breitete sich wie eine Kuppel über allem im Tempel aus. Die Gegenwart einer fremden, enorm starken und zugleich liebevollen Wesenheit war deutlich zu spüren. Auf ein Zeichen von Raja nahm Siri telepathisch Kontakt auf. Sie spürte, wie das Wesen in ihre Gedanken eindrang und so von ihren Ängsten und Sorgen erfuhr. Ungläubiges Staunen erfüllte die Anwesenden, als sich auf dem sechsten Podest ein weißes Licht manifestierte, das wuchs und sich aus ihm die unwirklich leuchtende Gestalt eines geflügelten Mannes materialisierte. Die große, schlanke Gestalt stand auf ein Schwert gestützt, welches wie flüssiges Gold gleißte. Tief neigten sich Drakon und Atlan vor dem Gast aus einer anderen Welt.
„Mein Name ist Mi-Kel. Seid gegrüßt Atlan und Drakon. Dank sei euch, die ihr Letan nicht vernichten wollt. Der Große Verborgene, dessen Namen ihr nie nennt, hat mich zu euch gesandt. Seit langer Zeit beobachten wir alle Welten, die der Caiphas-Regen traf. Jetzt, da ihr euch nicht mehr selber helfen könnt, ist der Zeitpunkt für unser Eingreifen gekommen. Noch in dieser Nacht werden wir Letan in einen magischen Schlaf versetzen. Wir werden ihn in eine Galaxie bringen, wo ein Planet Leben trägt. Es gibt dort riesige Tiere, die stark genug sind, ihm zu trotzen. Er wird einsam unter vielen anderen sein und genug Zeit haben, nachzudenken. Es wird seine letzte und einzige Chance sein. Vielleicht nutzt er sie.“
In atemloser Stille lauschten die Versammelten. Sollte ihre Bitte wirklich erhört, das Übel von ihnen genommen werden?
„Ich kann eure Zweifel spüren, doch seid getrost, die Caiphas-Katastrophe konnten wir nicht verhindern, aber wir werden versuchen, die Folgen zu lindern. Wir vermögen viel – doch wir sind nicht allmächtig. Jeder, ohne Ausnahme jeder, Existenzform sind Grenzen gesetzt. Ihr werdet noch viel Leid erfahren, aber auch viel Freude.“
Mi-Kel wandte sich Siri zu. Lächelnd legte er ihr die rechte Hand auf den Kopf, genau zwischen die Hörner. Eine wohlige Wärme durchströmte ihren Körper.
„Du bist tatsächlich die ungewöhnlichste Drakon, die ich je kennengelernt habe. Deine Sorge um andere ist grenzenlos. Ich gebe dir durch meine Hand den Segen des Großen Verborgenen.“ Während er diese Worte sprach, berührte er fünf Schuppen auf Siris Stirn, die sogleich in goldenem Licht aufstrahlten und ein gleichschenkliges Dreieck bildeten.
„Du trägst nun die Zeichen des Großen Verborgenen, von Ga-Rel, Ra-El, Ur-Lel und von mir, Mi-Kel. Diese Male werden dir Kraft geben und eine Hilfe in ausweglosen Situationen sein. Du musst uns nur im Geiste rufen.“ Bei den letzten Worten begann die Lichtgestalt zu verblassen. Sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
Solon beendete an dieser Stelle seine Erzählung und Neri schien es, als ob sie aus einem langen, wunderschönen Traum erwacht sei.
Es war kühl geworden, die Sonne hatte ihre letzten Strahlen schon lange hinter dem Meer versteckt. Unzählige Sterne funkelten am wolkenlosen Himmel und spiegelten sich im See. „Ich danke dir, Solon“, sprach Neri leise.
Der bärtige Alte erhob sich, dann trat er, auf seinen knorrigen Stock gestützt, den Heimweg an. Lange und nachdenklich schaute die Seherin hinterher. Dann war sie mit ihren Gedanken allein, sank wieder in das weiche Gras zurück und versuchte, sich zu entspannen. Ein paar Insekten summten noch, die letzten Vögel zwitscherten, zarter Blumenduft lag über der Wiese. Alles schien so friedlich. Wovor hatte Ga-Rel gewarnt? Vor Tieren in den Fellen anderer Tiere. Das lag lange vor ihrer Zeit. Die junge Frau war hier auf der Erde geboren. Sie hatte nur die letzten 500 Erdenjahre der Entwicklung dieser Tiere erlebt. Die Atlan selber hatten sich stets von den Menschen fern gehalten. Aber hin und wieder kam es vor, dass einer von denen den Ozean bezwang und mit seinem Einbaum ihr Paradies erreichte. Meist waren es kriegerische, wilde Gestalten, die so manchen Sturm erlebt hatten. Telepathisch nahmen die Ältesten den Kontakt zu den Fremdlingen auf und lernten so deren düstere Gedankenwelt kennen. Ihr ganzes Leben schien ein einziger Kampf ums Überleben zu sein, gegen die Natur, gegen sich selbst. Meist blieben die Fremden nicht lange, sie wollten stets so schnell wie möglich ihren Anführern vom Paradies hinter dem Meer berichten. Doch der Abschied war ein Abschied für immer. Die Atlan löschten beim Lebewohl
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