Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
heimliche Blicke auf Hatik geworfen. Es ging einfach nicht anders. Der Schuppenpanzer zog sie regelrecht an. Der Mann darunter schien unverändert. Sie ahnten nicht im Entferntesten, wie scharf dessen Sinne nun geworden waren. Keine noch so kleine Regung entging ihm. Aber bald würde die Sonne aufgehen, dann sollte die sichtbare Veränderung ein Ende haben und Hatik wollte bis dahin noch einige Tests machen. So schützte er Müdigkeit vor, um schnell in seine vier Wände zu kommen. Er dankte seinen Freunden für die Begleitung, wünschte ihnen noch einen angenehmen Schlaf, dann zog er sich in seine Räume zurück und schaute sich nach einer spiegelnden Fläche um. Verblüfft stellte er dabei fest, dass er aus dem Stand einhundertachtzig Grad nach hinten schauen konnte. Ihm entfuhr ein erfreutes: „Na, wie find ich’s denn?“ Überhaupt schien die Beweglichkeit stark zugenommen zu haben. Er schlängelte sich regelrecht zwischen seinen Möbeln hindurch. Beim Suchen in der großen Truhe rutschte ihm der schwere Deckel aus der Hand und noch ehe er die Finger beiseite ziehen konnte, krachte er herunter. Das Zusammenzucken kam nur aus Gewohnheit, er hatte keinerlei Schmerz, sondern nur einen leichten Druck verspürt. Neugierig betastete er seine Hand. „Alles dran, kein Kratzer – phänomenal!“ Zufällig streifte sein Blick das Fenster. Hinter dem Gebirge zeigte sich bereits ein grauer Schein. Bald würde die Sonne aufgehen. Er trat näher und legte beide Hände auf den Sims. Der erste Schein des Tages wischte die Drachenhaut weg, als wäre sie nie da gewesen. Hatik fasste sich an die Stirn. Die Stelle, an der die Drachenschuppe eingedrungen war, fühlte sich seltsam kühl an. Er atmete auf. Hatte er doch die Befürchtung gehabt, nun dauerhaft als halbe Echse herum zu laufen. Zufrieden legte er sich für ein kurzes Schläfchen nieder. Im Unterbewusstsein registrierte er jedes Geräusch im und um das Haus herum. So entging es ihm auch nicht, dass Solon mehrmals vor seiner Tür stehen blieb und angespannt lauschte. Der weise Alte machte sich Sorgen. Ihn plagte die quälende Ungewissheit, ob er nicht unbedacht das Leben des jungen Mannes zerstört hatte. So traf schließlich auch Aron am Morgen einen zerknirscht dreinblickenden, rastlosen Solon an. Kurz nach ihm gesellte sich Safi noch dazu. Die wachsende Unruhe spürend, hatte er sich schnurstracks auf den Weg zu seinen Freunden gemacht. Alle drei versuchten, die Nähe von Hatik zu fühlen – vergeblich. Entweder war er weggegangen oder aber, und das war wahrscheinlicher, er konnte sich jetzt energetisch komplett unsichtbar machen. Safi hatte einen einfachen, aber genialen Plan. „Ich mixe ihm jetzt seinen Lieblingstrank. Wenn ihn das nicht unter der Decke hervorlockt, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Gesagt – getan. Nach ein paar Minuten zog ein kräftiger Duft von Kokos und Vanille durch den Raum. Aron half etwas nach, damit sich der köstliche Hauch schneller verbreitete. Die Wirkung setzte prompt ein. Fast zeitgleich mit seiner Energie erschien Hatik auf der Bildfläche. Wie ein Spürhund schnüffelnd, stand er plötzlich im Türrahmen. Solon und Aron schüttelten amüsiert die Köpfe, während Safi ein zufriedenes „Sag ich’s doch“ vor sich hin murmelte. Als Hatik das Zimmer betrat, schauten ihm die drei Atlan neugierig entgegen. Ohne Zweifel hatte sich seine Aura stark verändert. Das war zu erwarten gewesen. Er schien aber wie immer auszusehen. Als er sich dem Tisch auf zwei Schritte genähert hatte, stutzte Solon. Abrupt hielt er mitten in einer schnellen Bewegung inne, wodurch auch die anderen aufmerksam wurden. Verblüfft stellten sie fest, dass sich Hatiks Augenfarbe von schwarzbraun nach bernsteingelb verändert hatte. Ungerührt trat der Ankömmling an den Tisch. „Ich glaube, es hätte schlimmer kommen können.“
Solon sprang, entgegen seiner sonstigen würdevollen Zurückhaltung, auf. Er flog förmlich auf Hatik zu und fiel ihm um den Hals. Erst in diesem Augenblick wurde allen bewusst, wie sehr der alte Mann gelitten haben musste. Jetzt war es kein Geheimnis mehr, dass Solon für den jungen Tarronn Vatergefühle entwickelt hatte. Nach Rami noch einen Sohn zu verlieren, wäre für ihn sicher tödlich gewesen. Hatik erwiderte die liebevolle Umarmung. Er mochte den gütigen Alten, der ihn so selbstlos aufgenommen hatte. Auch seinen beiden Freunden plumpste ein dicker Stein vom Herzen und es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Aufregung
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