Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Rasch wurde es still. Als sie Toms Blick auffing, nickte sie scharf nach Südwest. Er nickte auch, drehte das Steuerrad herum und fing die Brise auf. Das Schiff glitt mühelos davon. Die Piraten standen beisammen und sahen zu, wie ihre ehemaligen Verfolger vorbeisegelten, als wären sie gar nicht vorhanden.
»Ziemlich gut, nicht wahr?«, fragte McAvery. »Viel leichter, als eine Flucht zu versuchen.«
Falkin packte ihn beim Handgelenk und schob seinen verzierten Ärmel hoch. Sein Arm war gebräunt und mit goldenen Haaren übersät. Sie nahm den anderen Arm in Augenschein, aber er sah genauso aus. Kein Silberarmband und keine blasse Stelle oder Narbe, die darauf hätte hindeuten können, dass je eines da gewesen war. Obwohl er kein Danisober-Armband trug, wandte McAvery Magie an. Das hätte unerhört sein sollen. Die Danisober kontrollierten schon seit über einem Jahrhundert alle Magie.
Wie war es ihm nur gelungen, ein so mächtiges Objekt wie die Stimmgabel in die Finger zu bekommen? Noch wichtiger: Wie konnte sie hoffen, ihn weiter unter Kontrolle zu halten?
»Oh, macht Euch keine Sorgen«, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Das ist alles, was ich habe.« Als Falkin die Augenbrauen hochzog, setzte er hinzu: »Die Stimmgabel. Das ist die einzige Magie, über die ich verfüge. Ich habe sie von einem Kaufmann bekommen, der mich angeheuert hatte und nicht bezahlen konnte. Ganz nützlich, findet Ihr nicht?«
»Sehr nützlich. Das Schlimme ist nur, dass die Danisober nach solchen Dingen Ausschau halten. Sie könnten uns jede Minute zur Zielscheibe machen.«
»Habt Ihr Angst vor der Bruderschaft?«, fragte er mit einem Auflachen. »Hier draußen?«
»Selbst, wenn sie für uns keine Bedrohung darstellen«, sagte sie über sein leises Lachen hinweg, »solltet Ihr doch nicht annehmen, dass mir nicht klar ist, warum Ihr Euer kleines Spielzeug gerade eben eingesetzt habt. Die Kopfgeldjäger waren hinter Euch her.«
Er legte den Kopf schief und starrte sie auf eine Art und Weise an, bei der sie sich außergewöhnlich unbehaglich fühlte. »Ihr versteht es immer noch nicht, oder? Es geht gar nicht um mich. Oder um Euch, oder um Binns.«
»Jarvis!«, blaffte sie. Als er zu ihr gerannt kam, sagte sie: »Schaff diesen Mann in seine Zelle zurück.« Und lass ihn nicht wieder heraus, selbst wenn ich dich darum bitten sollte .
Kurz nachdem sie wieder unterwegs waren, trieb sie Dreso in die Enge. Er hatte sich unauffällig verhalten, seit man ihm von dem Kommandowechsel erzählt hatte. Er schien ihr auszuweichen, um keine Fragen beantworten zu müssen. Aber sie konnte nicht lange abwarten – wenn er sich irgendeiner Form von Verräterei schuldig gemacht hatte, musste sie das herausfinden, bevor er ihre Chancen gefährden konnte, Binns zu retten.
Sie fand ihn damit beschäftigt, Taue aufzurollen, ganz allein, ohne dass er irgendwohin hätte flüchten können. Eine bessere Gelegenheit würde nicht kommen. Sie näherte sich ihm auf leisen Katzenpfoten, legte ihm die Hand auf die Schulter und genoss es, wie heftig er vor Überraschung zusammenzuckte.
»Tut mir leid, Maatin, du hast mich erschreckt.« Er ließ das Tau fallen und legte sich eine Hand auf die Brust.
»Ich benötige ein paar Informationen, Dreso.«
Unbehaglich sah er hin und her. »Na ja … Ich bin verdammt beschäftigt. Angus hat eine meilenlange Liste von Aufgaben für mich und ich …«
»Angus gehorcht mittlerweile mir, und wenn ich dich unterbreche, um dir Fragen zu stellen, wird er mir diese Zeit verdammt noch mal zugestehen. Setz dich gefälligst auf deinen Arsch!« Dreso wich zurück, als hätte sie ihn geschlagen, und bückte sich nun langsam, um sich auf die Taurolle zu setzen, die er angelegt hatte.
»So ist es besser.« Sie baute sich auf sicheren Beinen und mit verschränkten Armen vor ihm auf. »Ich habe dich an Bord der Vogelfrei gelassen. Ich habe darauf vertraut, dass du mit den anderen beiden Wache halten würdest. Ich komme zurück und finde heraus, dass meine Schaluppe gestohlen worden ist und ihr alle drei verschwunden seid. Ich bin bereit, von dir zu hören, was geschehen ist. Wie es dir gelungen sein mag, zum einzigen Überlebenden zu werden.«
Er schluckte schwer und sah ihr nicht in die Augen. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen.«
Wut wallte in ihrer Brust auf; die Zorneshitze blendete sie halb. Sie blinzelte, um ihren Blick zu klären, aber der Zorn blieb wie ein überkochender Topf direkt unter ihrer Haut.
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