Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
etwas, das nach einer schlecht entworfenen Gabel aussah, ein dicker Griff, aus dessen Mittelteil zwei stumpfe Zinken hervorragten. McAvery presste den Nagel seines Mittelfingers gegen den Daumenballen und ließ den Finger dann gegen die Gabel schnellen.
Falkin spannte sich sofort an. »Was zur Hölle tut Ihr da?«, knurrte sie und eilte die Leiter hinab auf ihn zu.
McAvery grinste sie an. »Ihr arbeitet zu hart, Mädchen.«
Ein leiser, widerhallender Ton erfüllte die Luft. Aber nicht nur die Luft war in Schwingung geraten – das Tauwerk wellte sich im Takt des Klangs. Fältchen durchliefen die Segel wie kleine Wasserwellen auf einem windbewegten See. Die Piraten hielten in ihren Tätigkeiten inne; einige fassten sich an den Bauch, andere tänzelten von einem Fuß auf den anderen. Falkins eigene Füße kribbelten; der leise Klang bewegte sich durch das Deck bis in ihre gestiefelten Füße hinein. Sie kämpfte gegen das Bedürfnis an, sich die Stiefel von den Füßen zu reißen und sich die Fußsohlen zu kratzen, und wandte sich mit funkelnden Augen McAvery zu. »Was habt Ihr getan?«, verlangte sie zu wissen. Ihre Stimme zitterte leicht.
Er deutete nach oben. Ein Vorhang aus glitzerndem weißen Nebel, der irgendwo oberhalb des Mastkorbs seinen Ausgang nahm, fiel in schimmernden Wellen beiderseits der Thanos nieder. Einen Moment lang funkelte er, dick und schneeweiß, und schränkte die Sicht ein. Aber eben nur einen Moment lang. Bevor Falkin von McAvery weitere Erklärungen verlangen konnte, bemerkte sie, dass die kristallklaren Tropfen dünner wurden; ein paar Sekunden später fielen dann gar keine mehr. An ihrer Stelle befand sich ein sanft schimmerndes Licht, durch das sie das Schiff der Kopfgeldjäger sehen konnte, das noch immer näher kam.
McAvery sah die verblüffte Piratin mit hochgezogener Augenbraue an. »Hübsch, nicht wahr?« Er streckte die Arme vor sich aus und gähnte übertrieben. »Na, ich bin jedenfalls erschöpft. Das ganze Schiff samt Mannschaft zu retten verlangt einem doch so einiges ab. Es wird Zeit für ein Nickerchen.« Er lehnte den Kopf gegen den Mast und schloss die Augen.
Die Piraten starrten ihn wie betäubt an. Falkin marschierte zu ihrem Gefangenen hinüber und packte ihn beim Hemd. »Ich brauchte Eure Hilfe nicht. Stellt Eure Magie sofort ab oder ich schneide Euch etwas ab, das Ihr zu schätzen wisst!«
»Kann ich nicht. Aber keine Sorge: Sie ist nicht dauerhaft.« Er wedelte mit der Hand in Richtung des verfolgenden Schiffes. »Es ist ein Schutzschild. Hält etwa eine Stunde lang, so dass wir reichlich Zeit haben, den Kurs zu ändern und unsere Freunde an uns vorbei ins Leere fahren zu lassen.« Seine Augen hielten sie so sicher fest wie eine Handschelle. Sie waren wieder goldbraun. Wie gelang es ihm nur, ihre Farbe so oft zu verändern, und warum machte er sich überhaupt die Mühe? Es konnte doch nicht ihretwegen sein, nicht wahr? War ihm denn aufgegangen, dass sie es bemerkte? Plötzlich wurde ihr bewusst, welche Hitze von seinem Körper in ihre Hand ausstrahlte, und sie riss den Arm zurück, ehe sie ihn sich verbrannte.
»Ein Schutzschild? Was meint Ihr damit?«, fragte sie unbehaglich.
Er seufzte dramatisch. »Es ist ein magischer Schild. Sobald er eingesetzt ist, kann niemand außerhalb davon uns hier drinnen sehen. Wir werfen noch nicht einmal einen Schatten. Es ist ziemlich faszinierend und hat mit einer Reihe von Tönen zu tun, die darauf ausgelegt sind …«
»Mir ist es gleichgültig, wodurch diese Magie wirkt.« Das Schiff der Kopfgeldjäger kam an ihnen vorüber, nahe genug, dass sie sehen konnte, wie der Steuermann das gewaltige Steuerrad umklammert hielt, während der Navigator neben ihm stand und ein Fernrohr am Auge hatte. Er drehte es nach rechts und links und wieder zurück und suchte vergeblich nach dem Schiff, das er nicht mehr sehen konnte.
Ihre Mannschaft schien sich ihres Glückes gerade erst bewusst geworden zu sein; die Männer lachten und riefen einander spöttische Bemerkungen zu.
»Ich würde vorschlagen, dass wir nun den Kurs ändern. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dort nachsehen werden, wo sie Euch zuletzt gesehen haben.« McAvery machte eine ruckartige Kopfbewegung zum Deck hin. »Und Ihr bringt besser Eure Mannschaft zum Schweigen – der Tonschild verstellt die Sicht, hält aber keine Geräusche ab.«
Falkin klatschte einmal kräftig in die Hände. Als die Männer sie ansahen, schnitt sie sich mit der Hand quer über den Hals.
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