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Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)

Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Die Magierin des Windes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Misty Massey
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Sie streckte die Arme aus, tastete sich mit den Fingerspitzen vor, hoffte auf ein schlangengleiches loses Tauende, die rutschige Glätte der Reling, irgendetwas, das ihr bei der Orientierung helfen und sie davon abhalten konnte, über Bord zu gehen. Ein derart dichter Nebel schränkte nicht nur das Gesichtsfeld ganz empfindlich ein, sondern dämpfte auch Geräusche. Niemand würde etwas hören, wenn sie klatschend ins Wasser fiel.
    Die Nebel teilten sich gleich einem Vorhang und enthüllten eine Gestalt in schwarzen Gewändern. Mit einer Kapuze vermummt, reglos, geschlechtslos. Das Wesen stand mit schlaff herabhängenden Armen da. Es schien sie nicht zu bemerken – es schien noch nicht einmal lebendig zu sein, so still war es. Aber Falkin erschauerte und legte eine Hand auf den Griff ihres Degens.
    »Wer seid Ihr?«, wollte sie schon fragen. In dem Augenblick aber, da sie die Lippen öffnete, um zu sprechen, strömte der Nebel herein, füllte ihren Mund, verstopfte ihre Kehle wie dicke Baumwolle und brachte ihre Stimme zum Verstummen. Sie fasste an ihrem Hals herum, als könne sie sich die Haut aufreißen und den Schrei freilassen, der da in ihr brodelte.
    Langsam hob die Gestalt den Arm. Der überlange, schwarze Ärmel fiel zurück und enthüllte eine totenbleiche Hand, die in einer Klaue endete, deren Gelenk von einem silbernen Band umgeben war. Die skelettartigen Finger winkten Falkin heran, drängten sie wortlos mitzukommen. Und plötzlich wusste Falkin mit einer Gewissheit, die unmittelbar an ihrer Seele zerrte, dass es das Ende bedeuten würde, wenn sie der Gestalt – dem Danisober – folgte. Das Ende ihrer Freiheit, ihres Selbst, ihres Lebens.
    Sie versuchte zurückzuweichen, sich von der gefährlichen Hand wegzubewegen, aber ihre Füße waren steinhart am Deck festgefroren. Sie konnte nicht davonlaufen. Doch sie konnte immer noch kämpfen. Sie verstärkte ihren Griff um den Degen, zog ihn aus der Scheide. Sie schwang den glänzenden Stahl nach vorn und hoch, hielt ihn in beiden Händen und versuchte wortlos, ihre Bereitschaft zum Töten zum Ausdruck zu bringen. Aber der Danisober stand totenstill da, den Arm zu ihr hochgereckt, als sei ihre Herausforderung nicht furchterregender als die Fäuste eines Kindes.
    Mit einem lautlosen Brüllen ließ Falkin den Degen niederfahren, durchschlug das Handgelenk und das silberne Armband, das Symbol des gefürchteten Amtes. Als ihre Klinge hindurchsauste, hätte sie Blut, zerschmetterte Knochen und zerbrochenes Silber zurücklassen sollen. Doch die Hand blieb, wie sie war, ausgestreckt, wartend. Sie würde niemals verschwinden, nicht, bevor sie ihre eigene Hand hineinlegte und das furchtbare Angebot, das sie machte, annahm.
    Verzweiflung überkam sie, raubte ihren Händen und ihrer Seele die Kraft. Der Degen glitt ihr aus den kraftlosen Fingern. Fiel er klirrend aufs Deck? Sie konnte es nicht hören. Ihre Sinne waren dumpf, als hätte sie in der Nacht zuvor zu viel Bier getrunken und würde nun betrunken aufwachen …
    »Falkin … Liebling … Komm zu Mama …«
    Sie drehte den Kopf nach links, nach rechts. Die sanfte, beruhigende Stimme hatte so nah geklungen, doch sie sah überall nur Nebel. Nebel und die Gestalt im Umhang.
    »Weiche zurück, Falkin … Lass nicht zu, dass es dich berührt …«
    Die Stimme schien aus jeder Richtung zugleich zu kommen. Falkin drehte sich langsam suchend im Kreis. »Mama, wo bist du? Ich kann dich nicht finden!«
    Der Nebel teilte sich. Eine Frau trat daraus hervor, in ein Kleid gehüllt, so grau und zerfetzt wie die Wolken, aus denen sie kam. Sie breitete die Arme aus. Ihr Haar war nachtschwarz und fiel ihr offen über den Rücken; ihre braunen Augen leuchteten vor Liebe. »Komm zu Mama.«
    Falkin schluckte ein Schluchzen hinunter und trat vor. »Ich wollte nicht glauben, dass du tot warst …« Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr und wandte den Kopf, um hinzusehen. Die Gestalt im Umhang hatte beide Hände ans Gesicht gehoben und flüsterte etwas, zwar nicht in Wörtern, die Falkin kannte, aber in irgendeiner anderen Sprache, die zischelnd und bedrohlich klang. Plötzlich schossen die Hände vor und ließen einen Energieblitz über ihre Schulter direkt in den Bauch der grau gekleideten Frau fahren. Die Frau schnappte nach Luft und krümmte sich, bevor sie auf dem Boden zusammenbrach.
    »Mama!«, kreischte Falkin. Sie rannte los, doch der Körper der Frau schien sich mit jedem Schritt, den Falkin machte, weiter von ihr zu

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