Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
»Hattest du etwa den Eindruck, dies hier sei eine Bitte gewesen?«
»Zur Hölle, Kin, kannst du mich nicht einfach gleich auspeitschen?« Er warf einen Blick nach oben; sein Gesichtsausdruck war geradezu jammervoll.
Sie runzelte die Stirn. Er verhielt sich ganz gewiss nicht wie ein Verräter. Eher wie ein Mann, der über alle Maßen gedemütigt worden ist. Aber McAvery hatte ja auch den Bauernjungen gespielt …
»Rede – oder schwimm.«
Er seufzte, ließ den Kopf in die Hände sinken und murmelte irgendetwas.
»Das hab ich nicht ganz verstanden, mein Junge!«
Er hob das Gesicht: »Ich habe gesagt: Es ist alles meine Schuld. Will und Steven konnten es gar nicht abwarten, in die Stadt zu kommen. Sie haben mich bearbeitet, damit ich sie decke. Mir versprochen, mir ihren Anteil zu zahlen, wenn ich ganz allein Wache hielte. Ich hatte richtig Angst, dass die Geister an Bord kommen könnten, aber ich hatte doch meine Amulette bei mir und wollte das zusätzliche Geld wirklich gern bekommen.« Er zuckte die Schultern; seine Wangen waren rot vor Verlegenheit. »Ich sagte ihnen, sie könnten gehen, ich würde schon klarkommen. Wir war’n ja schließlich im Hafen von Eldraga.«
»Also bist du allein gewesen«, bemerkte sie. »Dumm. Gefährlich. Ich nehme an, die anderen beiden sind immer noch irgendwo auf Eldraga und fragen sich, was aus uns geworden ist?«
»Ich schätze ja«, sagte er. »Hab sie seitdem nicht mehr gesehen. Dachte, sie wären beim Rest von euch.«
»Was ist danach geschehen?«
Er ließ den Kopf hängen. »Ich bin eingeschlafen. Hab mich hinter dem Wasserfass auf dem Hauptdeck zusammengerollt und ein kleines Nickerchen gemacht. Wie oft haben wir schon in Eldraga oder an Dutzenden von anderen Orten vor Anker gelegen, ohne dass etwas geschehen ist? Überhaupt nichts! Wer konnte denn ahnen, dass ich diesmal ein Risiko eingehen würde? Als ich dann wach war, lugte die Sonne schon übers Wasser, und wir wurden grad aus dem Hafen geschleppt. Drei Seeleute, die ich nicht kannte, haben mich beim Kragen gepackt. Mich vor diesen Kerl, McAvery, geschleift.«
»Und was hat er dir für deine Treue angeboten?«
»Ungefähr das Gleiche wie du eben. Er sagte, ich könnte arbeiten – oder schwimmen. Ich hab also gearbeitet.« Er wandte das Gesicht der Reling zu. »Ich wusste nicht, ob ich je einen von euch allen wiedersehen würde. Soweit ich glaubte, wart ihr tot und ertrunken. Und man muss ja irgendwie weitermachen.«
Sein Bericht klang glaubwürdig, aber Falkins kurze Erfahrung mit McAvery hatte sie gelehrt, nicht an hübsche Märchen zu glauben. Sie versicherte Dreso, seine Geschichte nicht herumzuerzählen, und ließ ihn an seine Arbeit zurückkehren. Später am Nachmittag, als sie einen freien Augenblick fand, ging sie zu Shadd.
»Lustig, dass du fragst. Er ist gerade vor einer Weile runtergekommen, um mich zu besuchen. Hat die ganze Zeit darüber geredet, dass dieser McAvery nichts vom Segeln versteht und widersprüchliche Befehle gegeben hat. Er sagt, er kann’s gar nicht fassen, dass die Schaluppe nicht vor lauter Verzweiflung von sich aus gesunken ist.«
»Und was hält er von unserem Plan, Binns zurückzuholen?«, fragte sie. Wenn er einen Verrat im Sinn hatte, so hoffte sie, dass sie in der Lage sein würde, ihn aufzudecken, bevor er andere Mitglieder der Mannschaft überzeugte, sich ihm anzuschließen. Aber Shadd beharrte darauf, dass dem nicht so war.
»Na, er ist ja nun nicht dumm. Er weiß, dass ich dir treu ergeben bin, Mädchen, also meine ich nicht, dass er es mir geradeheraus erzählen würde, wenn er irgendetwas gegen dich im Schilde führt. Aber er behauptet, dir bis ans Ende der Welt zu folgen. Sagt, er hätte jede Nacht gebetet, dass was geschehen würde, und hätte gehofft, dass McAvery über Bord geht. Er kann gar nicht aufhören, dem Großen Pantheus dafür zu danken, dass du zur rechten Zeit vorbeigekommen bist.«
Genau das würde ich auch sagen, wenn ich den Verdacht auf einen anderen als mich selbst lenken wollte . Shadd mochte ja von Dresos Unschuld überzeugt sein, aber sie war es nicht. Ohne Beweise konnte sie allerdings nur abwarten und zusehen.
Kapitel 21
Wie lang ich in dem Anfall lag Kann ich nicht sagen mehr. Doch noch in diesem Traumesreich Hört’ ich mit Seel’ und Ohr zugleich Zwei Stimmen um mich her.
Samuel Taylor Coleridge
GRAUE NEBELSCHWADEN WIRBELTEN und strudelten um sie herum, während sie sich bewegte, und nahmen ihr die Sicht.
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