Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
und jedem anderen zu sein, den er beim nächsten Mal mitbringen mochte -, wusste sie doch, dass Olympia recht hatte. Es würde ein Weilchen dauern, aber ein guter, solider Plan konnte den Ausschlag geben. »Hast du einen Vorschlag?«, fragte sie widerstrebend.
»Ich habe ein besonderes Verhältnis« – Olympia zwinkerte – »zu den Wachen im Gerichtsgebäude.«
Fragend zog Falkin die Augenbrauen hoch.
»Nicht die Art Verhältnis, Schätzchen. Sie gehören zu meinen besten Kunden. Ich mache ihnen einen Sonderpreis, und sie sehen rein zufällig in die andere Richtung, wenn ich das Gefängnis besuche.«
Hoffnung war in Falkins Herz aufgewallt, zugleich mit einem seltsamen Gefühl der Enttäuschung, als hätte sie eine Gelegenheit versäumt. Sie hatte auf einen Kampf gebrannt; jetzt würde sie sich listiger anstellen müssen. Das widerstrebte ihr. Eine offene Schlacht war so viel einfacher. »Kannst du die Wachen bestechen, damit sie Binns entkommen lassen?«
Olympias wohlmanikürierte Finger schossen zu ihrem Mund empor. »Oh, du meine Güte, nein. Es hat mich Jahre gekostet, diese Freundschaften sorgfältig zu pflegen. Wenn ich jetzt etwas derart Plumpes versuchen würde, würde ich selbst im Handumdrehen verhaftet werden.
Außerdem habe ich nicht so viel Bargeld, wie dafür nötig wäre.«
»Das ergibt keinen Sinn.« Falkin sprang auf und lief mit schweren, zornigen Schritten quer durch den Raum.
»Setz dich hin.« Olympias Stimme war leise und beherrscht. »Wir werden zusammen zum Gerichtsgebäude hinuntergehen. Du wirst dich natürlich als eines meiner Mädchen verkleiden müssen. Du wirst mit deinem Kapitän sprechen und dein Herz darüber beruhigen, dass er unversehrt ist. Währenddessen werde ich die Tabellen auf dem Tisch des Wachkommandanten an mich bringen. Neues, Kin, Einzelheiten. Darin besteht sein Weg in die Freiheit.«
Kapitel 10
Ob ich das, was das Tageslicht scheut, offen tat, ob ich es litt - ich war verwirrt, ich wusst’ es nicht, Leid brachte Schuld und Reue mit.
Samuel Taylor Coleridge
»WAS IST BLOSS in mich gefahren, dass ich auf dich gehört habe?«, tobte Falkin. »Das glauben sie doch niemals! Ich kann mich glücklich schätzen, wenn mein Kopf noch dran ist, wenn ich da wieder herauskomme!«
»Still. Alles ist gut, und alles wird gut werden, wenn du tust, was ich dir gesagt habe. Folge mir einfach, und mach dir nicht so viele Gedanken.« Olympia verschob den riesigen Korb auf ihrer Hüfte, hob den Saum ihrer Röcke gerade hoch genug, um noch sittsam zu wirken, und schritt die breiten, majestätischen Marmorstufen des Seegerichtshofs von Eldraga hinauf.
Falkin seufzte. Vorhin in Camberlins Schenke hatte der Plan noch so einfach geklungen, als Sabas, Shadd und ein halbes Dutzend Dirnen mit schläfrigen Augen ringsum versammelt gewesen waren und zustimmend genickt hatten. Vergleichsweise harmlos, mit einem nützlichen Ergebnis, wenn sie nicht alles vermasselte. Olympia würde ihre Rolle natürlich großartig spielen. Solange Falkin den Kopf gesenkt hielt und nicht über die gewaltigen Röcke stolperte, konnte sie es schaffen. So hatte es zumindest zu jenem Zeitpunkt ausgesehen.
Jetzt, da sie auf den Stufen stand und in die schattigen Tiefen des abweisendsten Gebäudes von Eldraga blickte, war sie sich aber nicht mehr so sicher. Die riesigen bronzenen Doppeltüren, die durch Witterungseinflüsse grün angelaufen waren, standen offen; die Dunkelheit dahinter bedeutete eine unheilvolle Höhle. Es war der geheime Schlupfwinkel einer unaussprechlichen Gerechtigkeit, die den schlimmsten Feind des Piraten darstellte. Nein , sagte sie sich, ich bin nicht unsicher. Ich bin verängstigt. Wann immer auf See ein Schiff nahe herankam, führte sie den Angriff mit gebleckten Zähnen und blitzender Klinge. Sie gab in einem Kampf Mann gegen Mann nie auf, ganz gleich, wie furchterregend der Gegner auch war. Warum also verknotete ihr eine kleine Mission wie diese hier so die Gedärme?
Es musste an den Röcken liegen. Nach Olympias Ansicht würde Falkin in dem durchscheinenden Hemd und den fließenden Röcken, ihr Haar zu glänzenden Locken gebürstet, die ihr über die Schultern fielen, nicht besonders auffallen. Sie war nur eines von Olympias Mädchen. Das eng geschnürte Mieder machte ihr das Atmen schwer, aber die Röcke waren bei Weitem das Schlimmste. Dicke, schwere Lagen wirbelnden Stoffes, die einen eigenen Willen zu haben schienen, ihr zwischen die Füße gerieten und
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