Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
langsam los. Falkin sah mit wachsendem Entsetzen zu, wie das Gefängnisschiff vorsichtig aufs offene Meer hinausnavigierte. Mit ihrem Kapitän im Laderaum. Und sie stand hier, so sicher an Land gestrandet, als hätte man sie allein auf einer einsamen Insel ausgesetzt. Nach all ihren Plänen – nachdem sie ins Gerichtsgebäude geschlichen war und den ganzen verdammten Tag über diese gottverlassenen Röcke getragen hatte! – konnte sie nichts tun, als zuzusehen, wie ihre Hoffnungen von dannen segelten.
Welche grausame Gottheit tat ihr so etwas an? Ein Übelkeit erregendes, blitzartiges Begreifen breitete sich in ihren Gedanken aus. Dies war nicht der Akt irgendeines launischen Gottes. Auch die Soldaten hatten nichts von der Vogelfrei gewusst. Aber ein Mann sehr wohl. Derselbe Mann, der Binns’ Verhaftung unter der Anklage, ein Schiff, das er nie betreten hatte, gestohlen zu haben, in die Wege geleitet hatte.
McAvery. Der Name steckte ihr wie ein halb zerkautes Stück Knorpel im Hals. Wie Binns hatte sie sich in ihm getäuscht. Er war überhaupt kein Magus. Aber man konnte ihm auch nicht vertrauen, wie Binns sie hatte glauben machen wollen. Er war ein Dieb, und noch dazu ein sehr geschickter. Deshalb waren Burk und Volga auf der Jagd nach ihm. Kopfgeldjäger, das mussten sie sein. McAvery musste die Thanos in der Absicht gestohlen haben, sie zu überholen und frisch zu streichen, nur, dass die Behörden und die Spürhunde ihm zu dicht auf den Fersen gewesen waren. Er hatte von dem Augenblick an mit Binns gespielt, in dem er ihn auf dem Wasser gesehen hatte, hatte die Gier des Piraten mit dem schönen Schiff und dem Bauernjungenauftritt angeregt und ihn nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt. Sie wusste immer noch nicht, wie es McAvery gelungen sein konnte, während des Sturms zu verschwinden, aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.
Er ist kein Magus . Die Worte hallten in ihrem Geist wider, noch verstärkt davon, dass man im Nachhinein immer klüger war. Olympia hatte darauf beharrt, und McAvery hatte sich tatsächlich nicht als Magus erwiesen. Ein Magus wäre in der Lage gewesen, sich zu holen, was er wollte, ohne sich betrügerischer Spielchen zu bedienen. Er hatte auch mit ihr gespielt, aber jetzt durchschaute sie die Illusion, die er versucht hatte zu schaffen. Sein Herz schlug wie ihres, seine Lunge arbeitete wie ihre. Philip McAvery war ein Feind, den sie besiegen konnte. Er hatte keinen übernatürlichen Vorteil auf seiner Seite. Er war nur ein Mensch aus Fleisch und Blut, der seinen Charme und sein Geschick genutzt hatte, das Leben ihres besten Freundes in Gefahr zu bringen und ihr Schiff zu stehlen. Und da er von den Eiern bis zu den Knochen ein Mensch war, konnte er auch wie jeder andere sterben. Die Angst, mit der sie die letzten Tage über gerungen hatte, verblasste wie ein Morgennebel. Sie biss die Zähne zusammen, gab es auf, die betrunkene Dirne zu spielen, raffte die Röcke zusammen und marschierte auf ihre übliche Art auf die wartende Mannschaft zu. Sollten die Soldaten sie doch bemerken: Sie würde sie nur zu gern durchbohren, einfach, um in Übung zu bleiben, bis sie diesen Dreckskerl McAvery in die Hände bekam.
Sie erreichten das Grüppchen von Männern, das sich da zusammengeschart hatte. »Sprecht mit mir«, verlangte Falkin; sie hielt die Stimme gesenkt und schlang sich das zersauste Haar zu einem Schwanz über die Schulter.
Die kleine Versammlung von Männern hatte ihr leises Gespräch unterbrochen, als sie angekommen war, und starrte sie nun verwundert an. Sie runzelte die Stirn. »Was ist, sind euch allen die Zungen herausgeschnitten worden? Was ist los mit euch?«
Ein paar von ihnen erröteten und blickten nervös beiseite. Andere grinsten, ein Mann pfiff anzüglich. Shadd rückte näher an Falkin heran und ballte die Fäuste. »Schluss mit solchen Gedanken, ihr Hunde! Wir müssen erstmal mit der Lage hier klarkommen.«
»Tut mir leid, Kin«, sagte ein Bursche entschuldigend. »Es ist ja nur …, dass wir dich so noch nie gesehen haben. Ich meine, in einem Rock, so dass du aussiehst wie …« Er vollendete den Satz nicht und wandte sein rotes Gesicht dem funkelnden Hafen zu.
Unbehagliches Gelächter durchlief die Gruppe. Falkin sah hinab und bemerkte erst jetzt, was für ein Dekolleté ihr das enge Mieder verschaffte. Ärgerlich schnaufte sie. Diese Kleider sollen verflucht sein! , dachte sie. Ich wusste ja, dass sie für Ärger sorgen würden. Was war nur das
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