Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)

zurückgeholt haben.«
    Er wackelte mit dem Kopf und trat zurück, versank im Schatten der anderen, größeren Männer ringsum. Doch es stand die winzige Andeutung eines Lächelns auf seinem Gesicht. Falkin verspürte einen Hauch von Erleichterung.
    »Als Erstes werden wir jetzt einmal freundlich mit dem Herrn Hafenmeister plaudern. Herausfinden, warum er es für angeraten hielt, unseren Kapitän zu verraten.«
    Die Männer knurrten und fluchten. Das war genau die Reaktion, mit der Falkin gerechnet hatte. Der Hafenmeister war zwar immer gierig und übellaunig, aber wenigstens vertrauenswürdig gewesen. Wenn bekannt wurde, dass er die Piraten hereingelegt hatte, würde Eldraga darunter leiden.
    Bardo meldete sich zu Wort: »Was hat er getan?«
    »Es geht das Gerücht, dass er bezeugt hat, Kapitän Binns sei auf der Thanos eingelaufen.«
    »Was ist die Thanos ?«, fragte ein Seemann.
    Falkin wies mit dem Daumen darauf. »Das Schiff, von dem ihr alle sagt, es wär ein Geisterschiff. Ich hab ja gleich gesagt, dass es echt ist, und es ist in der Tat echt, aber es wurde gestohlen. Nur nicht von uns.« Sie warf einen Blick zur Amtsstube des Hafenmeisters hinüber. »Shadd, du kommst mit – halt deine Klinge bereit. Angus, Jaques, ihr verstellt die Tür und haltet Neugiernasen draußen. Ihr anderen bleibt hier und tut ganz harmlos. Dies hier ist vielleicht unsere einzige Chance, dort hineinzugelangen und ihn zu dem Geständnis zu bringen, dass er lügt.« Und herauszufinden, wer ihn dazu angestiftet hat , dachte sie bitter. Als ob ich noch einen Beweis dafür bräuchte …

Kapitel 12
     

     
    Was Höllisches hatt’ ich getan, Das ihnen schaden würd’ …
    Samuel Taylor Coleridge
     
     
     
    DIE AMTSSTUBE DES Hafenmeisters war ein enges, vollgestopftes Loch, gerade groß genug für ihn, seinen Schreibtisch und ein Regal, das die Rückwand vom Boden bis zur Decke einnahm. Gerüchten zufolge hatte er ein Geldangebot vom Kaufmannsrat von Eldraga abgelehnt, das dazu hatte dienen sollen, seine Amtsstube zu vergrößern, und gesagt, dass er, solange sie die Größe behielt, die sie hatte, nie mit mehr als einem Besucher auf einmal zu tun haben würde. Sobald der Kunde, der gerade bei ihm war, gegangen war, schlüpften Falkin und Shadd durch die schattige Türöffnung.
    Der alte Mann saß über seine Bücher gebeugt und kritzelte mit einem Federkiel Notizen. Er sah nur einen Sekundenbruchteil lang zu den Neuankömmlingen hoch. »Was wollt Ihr?«
    »Ich muss mit Euch über ein Schiff sprechen, das Ihr gestern angemeldet habt«, sagte Falkin.
    Langsam hob er den Kopf. Falten überkreuzten sich auf seinen eingefallenen Wangen und ließen ihn aussehen, als hätte ihn sein Leben lang tagtäglich jemand mit einem Fischernetz geschlagen. Seine Augen funkelten schadenfroh aus der Masse von Fältchen hervor. Er musterte sie von oben bis unten und schnaufte.
    »Zurück mit dir in deinen Puff, Hure!«, sagte er. »Wenn irgendein Seemann abgehauen ist, ohne dich zu bezahlen, ist das nicht meine Sache.«
    Das vulgäre Gebaren des Hafenmeisters war legendär, aber dies hier ging zu weit. Falkin machte eine Augenbewegung zu Shadd hinüber. Sabas hatte ihr die Schulter gut verbunden, doch sie schmerzte noch immer. Sie würde mindestens einen Tag lang keinen Degen führen können, aber sie war entschlossen, dies die Männer nicht merken zu lassen. So, wie die Dinge standen, war es ohnehin schon schwer genug, sie zu befehligen. Sie hatte Shadd ihr Geheimnis anvertraut, und er hatte zugestimmt, ihr Schläger zu sein, bis sie wieder allein zurechtkam.
    Er nickte, zog den Dolch, schob sich hinter den verhutzelten Hafenmeister, zerrte ihn auf die Füße und presste die Spitze gegen die lose Haut am Hals des alten Mannes.
    »Damit wirst du nicht durchkommen, Diebin!«, krächzte er. »Die Wachen patrouillieren auf diesen Kais und machen immer wieder halt, um nach mir zu sehen …«
    »Erst Hure, jetzt Diebin?«, unterbrach ihn Falkin. »Ihr tätet gut daran herauszufinden, wer Eure Gäste sind, bevor Ihr sie beleidigt. Ich bin Maatin auf der Vogelfrei .« Sie legte ihre linke Hand flach auf die Seiten seiner Bücher und beugte sich vor, bis sie und er sich beinahe Nase an Nase befanden. »Erinnert Ihr Euch an die Vogelfrei ? Zwölf Geschütze, leerer Laderaum, und doch habt Ihr uns acht Octavos für den Liegeplatz berechnet. Oder vielleicht erinnert Ihr Euch an den Namen des Kapitäns. Binns. Artemus Binns. Ihr habt heute falsches Zeugnis gegen ihn