Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
tat. »Aye aye?«, fragte er, trat vor und rang immer wieder die Hände.
»Ich will, dass du ein passendes Boot für uns findest. Am besten wäre eines, das uns alle aufnehmen kann, aber zwei kleinere tun es auch. Sieh erst dort nach, wo die Beiboote der Schiffe vertäut sind. Wenn wir die Jolle eines Fährmanns stehlen, werden wir erwischt, bevor wir auch nur zwei Riemenzüge weit draußen sind.«
Bardo riss die Augen weit auf, und seine Lippen zuckten rascher als zuvor. Er sah mehr denn je wie eine Maus aus, und einen Moment lang glaubte Falkin, dass er den Befehl verweigern oder gleich in Ohnmacht fallen würde. Stattdessen nickte er aber. »Aye aye, wird gemacht.«
»Guter Junge«, sagte sie und lächelte aufmunternd. »Dann ab mit dir! Triff dich hier wieder mit uns, sobald du kannst. Die Gezeiten warten nicht.«
Binnen einer Viertelstunde waren die Männer, die sie nach Tauen und Haken geschickt hatte, mit vollen Armen zurück. Bardo traf wenig später ein.
»Da ist das Boot eines Muschelsuchers«, berichtete er. »Es liegen noch zerbrochene Schalen auf dem Boden, aber darin ist reichlich Platz für uns alle – und so, wie es aussieht, liegt es auch schon ein paar Tage vertäut hier.«
Sie verließen das Lagerhaus in kleinen Grüppchen und folgten Bardo hinunter zu den Anlegern. Da der Kai so geschäftig war wie immer, schenkte ihnen niemand Aufmerksamkeit. Sie verfrachteten sich selbst in das große Boot, lösten die Leinen und senkten die Ruder ins Wasser. Falkin saß rückwärts gewandt; sie wollte den Blick nicht vom Ufer wenden. Ein Trupp Blauröcke spazierte vorbei, warf aber noch nicht einmal einen Blick aufs Boot.
Gerade, als sie sich umdrehen und sich ihrem Ziel zuwenden wollte, fiel ihr etwas ins Auge. Eine Bewegung, zielgerichtet und schnell – jemand, der zur Hafenkante rannte. Cazador. Er hatte sich den Beutel mit einem ungeschickten Knoten an die Taille gebunden. Auf die Entfernung war es zwar schwer auszumachen, aber er sah reichlich mitgenommen aus. An der Kante blieb er stehen, die Hände zu Fäusten geballt, und starrte sie über das Wasser hinweg böse an. Soldaten waren zwar in Rufweite, aber er blieb stumm. Sie sah ihn an und fragte sich, warum er sie nicht verriet. Was für ein Kopfgeld hatten die Danisober ihm angeboten? War es so gewaltig, dass er es nicht riskieren konnte, die Soldaten hinzuzuziehen? Sie ließ den Blick auf ihm ruhen, bis er zu klein geworden war, um noch klar ausgemacht werden zu können. Sie hatte das verstörende Gefühl, dass sie ihm noch einmal über den Weg laufen würde. Und wenn das geschah, würde er einen Groll auf sie hegen.
Jetzt saßen sie im Schatten einer bixischen Galeere und starrten ihr Ziel an, das im tiefen Wasser des Hafens sanft schaukelte. Es war fast zu einfach gewesen: als ob die Götter, die Parzen oder alle anderen, deren Blick auf Falkin ruhte, wollten, dass sie Erfolg hatte. Nicht dass sie sich entspannte – wenn es eines gab, was sie über höhere Mächte gelernt hatte, dann, dass in dem Augenblick, in dem sie glaubte, sie auf ihrer Seite zu haben, das Boot, in dem sie saß, Leck schlagen oder ein Sturm aufkommen würde. Es war das Beste, jetzt angespannt zu bleiben. Wenn sie alt und grau war, würde sie immer noch Zeit haben, sich auszuruhen.
Nun, da sie so nahe gekommen waren, wirkte die Thanos noch eindrucksvoller, als Falkin es zunächst bemerkt hatte; die schwarz gestrichenen Flanken ragten aus dem sanft rollenden Wasser wenigstens vier Mannshöhen auf, wenn nicht gar noch weiter. Alle Stückpforten waren dicht geschlossen, die Ränder so bündig, dass sie hätten wasserdicht sein können. Wie Falkin gehofft hatte, als sie das Risiko eingegangen war, reichte auch auf dieser Seite ein Satz Leitersprossen von der Reling bis zur Wasserlinie herab – auf der Thanos gab es keine Strickleitern. Sie war als Schiff zehnmal so viel wert wie die Vogelfrei – und in der Tat ein schönes Gefährt. Binns hätte sich einen gehörigen Namen machen können, wenn er über ein derart großes, schnelles Schiff verfügt hätte.
Gedanken an ihren Kapitän überfluteten ihren Verstand. Bilder von ihm, wie er in Ketten lag, verprügelt wurde, wie er langsam diese letzten Stufen hinauf auf einen Strick zuschritt, der träge in der Ozeanbrise hin- und herschwang … Falkin ballte die Faust, bis ihr die Fingernägel in die Haut der Handfläche drangen. Wir werden ihn zurückholen. Er ist noch nicht tot , rief sie sich zur Ordnung. Er wird
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