Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
ihn zu führen, glitt sie seitwärts an ihm vorbei. Sie warf ihren Degen in die Luft, fing ihn mit der rechten Hand auf, sprang hoch und packte mit der Linken ein herabhängendes Tau. Der Schwung ihres Sprungs trug sie in einem Pendelbogen hinter den Soldaten.
Er war zwar stark, aber nicht schnell. Noch immer sah er in die andere Richtung, als ihr Schwung sie schon wieder zurücktrug. Mit einem wilden Siegesschrei rammte sie ihm die Degenspitze sauber in den ungeschützten Rücken.
Cragfarus blieb stehen, wo er war; ihr Rapier steckte in seinen Rückenmuskeln wie in einer Scheide. Sein Kopf sank nach vorn, als starre er den spitzen Stahl fasziniert an, der zwischen seinen Rippen hervorragte.
Falkin ließ Tau und Rapier los und landete mit beiden Füßen auf dem Deck. Ihr Atem floss mühsam in ihre gemarterte Lunge und wieder hinaus. Der Schmerz war jetzt, da ihr Zorn vergangen war, in ihre Schulter zurückgekehrt, ein weißglühender Schrei aus dem Innern ihres Körpers, der sie fast wünschen ließ, der Mann hätte sie getötet, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Sie trat vor, packte den Degengriff und zog ihre Waffe aus dem großen Soldaten heraus. Blut sprudelte aus der Wunde; als wäre es alles gewesen, was ihn noch aufrecht hielt, wankte er nun, kippte dann langsam vornüber und fiel aufs Gesicht. Eine rote Pfütze breitete sich unter seinem reglosen Körper aus.
Soldaten und Piraten standen gleichermaßen stocksteif da: Alle hatten die Augen aufgerissen und wirkten misstrauisch. Gespenstische Stille lag über dem Schiff, durchbrochen nur von dem gelegentlichen Plätschern des Wassers am Rumpf tief unten – und von Falkins Keuchen. Sie hatte es geschafft. Ihre Schulter brannte vor Schmerzen, ihre Männer waren zwar in der Unterzahl, aber sie hatte doch irgendwie gewonnen. Ein langsames Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus. Das war ein gutes Vorzeichen für den Rest der Mission – so musste es einfach sein.
Jarvis kniete neben Shadd. Er sah von seinem Patienten auf und räusperte sich, bevor er sprach: »Ich habe die Blutung erst einmal gestillt. Soll ich mich um den anderen Kerl da kümmern, Käpt’n?«
Erwartungsvoll sah er sie an. Falkin zuckte zusammen und begriff, dass er mit Käpt’n sie gemeint hatte. Die Situation war noch zu heikel; sie würde abwarten und ihn später verbessern. Selbst, wenn sie die Vogelfrei nicht zurückbekamen: Solange Binns nicht tot und doch noch zu retten war, war noch immer er der Kapitän.
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich stattdessen den an der Reling aufgereihten Soldaten zu. Ein paar von ihnen befanden sich noch auf ihren Posten – nicht dass es eine große Rolle spielte, nun, da ihre tropfnasse Mannschaft eingetroffen war. Andere hatten sich umgedreht, um dem Kampf zuzusehen, und Falkin fing den Blick eines von ihnen auf.
»Einer von euch kommt jetzt hier herüber«, befahl sie. Ein blonder junger Mann drehte sich mit argwöhnischem Gesichtsausdruck und gesenkter Armbrust in der Armbeuge um.
Sie machte eine ruckartige Kopfbewegung, um ihm zu bedeuten, zu ihr zu kommen. Der Mann zögerte und hob die Armbrust ein wenig. Sie runzelte die Stirn. »Zwingt mich nicht, auch noch Euer Blut zu vergießen. Ich habe jetzt schon genug vom Deck zu schrubben.«
Falkin hoffte, dass sie so gefährlich klang und aussah, wie sie sich fühlte. Der Soldat wurde blass, setzte seine Waffe sanft auf dem Deck ab und trat vor.
Jetzt, da er vor ihr stand, bemerkte sie, dass sein Kinn nicht rasiert, sondern von einem daunenweichen Flaum bewachsen war, der sich noch nicht zum Bart eines Mannes verdunkelt hatte. Höchstens sechzehn, kaum alt genug, den Schoß seiner Mutter zu verlassen. Er vermied es sorgfältig, den blutigen Leichnam seines Kommandeurs anzusehen, und hielt den Blick stattdessen starr geradeaus gerichtet, wie es ihm beigebracht worden war. Vielleicht war dies die erste Tötung, die er je mit angesehen hatte – oder zumindest die erste Tötung eines Menschen, den er kannte. Irgendwann müssen wir alle erwachsen werden , dachte sie. Heute bist du wohl dran. Sie hockte sich neben Cragfarus und wischte die Rapierklinge an der Rückseite seiner Hose sauber. Sie grinste zu dem jungen Soldaten hinauf, dem so unbehaglich zumute zu sein schien.
»Wie heißt du, Junge?«
Er straffte die Schultern noch ein wenig mehr. »Wachsoldat Erster Klasse Axel, mein Fräulein. Ich meine, meine Dame. Das heißt …« Er warf einen nervösen Seitenblick zu ihr hinunter.
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