Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
»Kapitän?«
Da war er wieder: der Titel, den sie nicht annehmen konnte, der ihr aber immer wieder entgegengeworfen wurde. Es war schon schlimm genug gewesen, als Jarvis sie Käpt’n genannt hatte, so, als ob er und die anderen eigentlich nicht glaubten, dass Binns befreit werden würde. Aber zu hören, wie der Soldat den Begriff gebrauchte, das klang einfach zu endgültig. Sie konnte nicht Kapitän sein, noch nicht, nicht unter diesen Umständen.
Doch sie konnte so tun. Es ist nur ein Wort , sagte sie sich, das keine Bedeutung außer der hat, die ich ihm zugestehe . Wenn sie zuließ, dass dieser Welpe von einem Soldaten sie Kapitän nannte, würden die anderen Soldaten es hören. Diese Narren in Uniform glauben zu lassen, dass sie eine Piratenmannschaft befehligte, konnte ihr noch zum Vorteil gereichen. Binns würde ihr das nicht übel nehmen. Besonders dann nicht, wenn es half, sein Leben zu retten.
» Kapitän genügt«, sagte sie, stand auf und schob ihre Klinge in die Scheide. Die Bewegung ließ Feuer ihren Arm entlangzüngeln, aber sie hielt ihr Gesicht ausdruckslos. Zeig kein Zeichen von Schwäche – oder mit dir ist es aus . Sie trat näher heran. »Euer Kommandeur ist tot. Ihr seid in der Unterzahl. Und ich kann jetzt nicht die Zeit verschwenden, Euch zu töten.«
Er versteifte sich. »Tut mir leid, meine … äh, Kapitän. Ich bin nicht befugt, die Bedingungen einer Kapitulation mit Euch auszuhandeln.« Seine Stimme zitterte.
»Kapitulation?« Sie lachte. »Ich will gar nicht, dass ihr kapituliert. Ich will, dass ihr von diesem Schiff verschwindet. Zu eurem Glück bin ich zwar Piratin, aber keine Barbarin. Wenn du dich benimmst und der Rest deines Trupps das auch tut, werdet ihr den Tag vielleicht überleben.«
»Ich bin vereidigter Soldat in der Marine Seiner Majestät.« Er runzelte die Stirn; sein jungenhaftes Gesicht wirkte plötzlich reif. »Es ist meine Pflicht, Verbrecher wie Euch aufzuhalten.«
»Wenn ich richtig zähle«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf einen Soldaten nach dem anderen, »habe ich drei Mann für jeden von euren. Sieh dir meine Mannschaft an.« Sie neigte den Kopf zu der Horde von Männern, die mit durchnässten Kleidern und entschlossenen Gesichtern hinter ihr standen. »Wenn ich auch nur einmal pfeife, wird bis auf die Erinnerung an euch nichts mehr von euch übrig sein.«
Er war es nicht gewohnt, große Entscheidungen zu treffen, so viel war offensichtlich. Ein einzelner Schweißtropfen glitt vom Ansatz seines kinderzarten Haars herab über seinen angespannten, zuckenden Kiefer. Sein Gesicht war totenbleich geworden, und er hatte eine so verkrampfte Habachtstellung eingenommen, dass er nicht einmal mehr zu atmen schien. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und sofort zuckte er heftig zusammen. Es war wohl besser, schnell etwas zu sagen, bevor er noch in Ohnmacht fiel. »Nimm deinen Trupp, den Toten wie die Lebenden, und verschwinde verdammt noch mal ein bisschen plötzlich von meinem Schiff!«
Er sah elend aus und ließ die Schultern hängen. »Dafür werde ich ausgepeitscht werden.«
Die Tide war gekentert. Falkin konnte spüren, wie die Thanos unter ihren Füßen zog, ein mächtiges Tier, das versuchte, sich von seiner Leine loszureißen. Sie hatte Geduld mit diesem Jungen gehabt, aber jetzt musste sie den Anker lichten, bevor dieser Schuft McAvery sich noch weiter entfernen konnte. Sie schlug ihm auf die Schulter. »Peitschenstriemen heilen irgendwann. Setz deine Männer in Bewegung.«
Axel riss den Mund auf und sah aus wie ein Fisch am Haken. Sie starrte ihn böse an und nahm den Blick nicht fort. Endlich sah er nach unten und wandte sich dann den wartenden Soldaten zu. »Trupp, wir gehen. Trage einer die Leiche des Kommandeurs!«
Falkin gestattete sich, Atem zu holen. Eine Sekunde lang hatte sie schon geglaubt, dass dies hier nicht ohne einen weiteren Kampf abgehen würde. Vielleicht lächelten die Götter ihr heute doch zu.
»Wir müssen ihn wegbringen«, murmelte Jarvis. Er hatte Shadds bereits angerissenes Hemd ganz zerschnitten und alle Stücke, die nur irgend groß genug waren, verwendet, um den Blutfluss zu stillen. Falkin hockte sich neben Shadd hin. Sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, seine Gesichtsfarbe aber war noch immer teigig.
»Bringt ihn in die Kapitänskajüte.«
Jarvis warf ihr einen verblüfften Blick zu. »Wo wirst du schlafen?«
Sie rollte mit den Augen und seufzte. »Ich hänge mir eine Hängematte dort hinein.
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