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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ich wie ein Tornado durchs Haus gebraust war, eitel Verwüstung im Kielwasser, verschnaufte ich mich zunächst; dann beschloß ich, sie alle aus dem Fenster zu werfen. Ich packte zwei Figuren, rechts und links, am Genick und wollte den Anfang machen. Da fiel mir ein, daß Marlies mich so eindrucksvoll gewarnt hatte, aus den Fenstern zu sehen.
    Ich zögerte. Doch dann, wie unter einem Zwang, riß ich unten im Saal die Damastvorhänge beiseite. Ich erwartete schwärzeste Dunkelheit draußen, doch das Licht aus dem Hause fiel dort draußen auf – ein großes Gesicht.
    Es war so groß wie eine Landschaft. Es sah gelb und wächsern aus.
    Es war mein eigenes Gesicht . Es hatte geschlossene Augen; der Mund klaffte auf wie ein Abgrund; ein stummer Schrei quoll daraus hervor . . .
    Ich war tödlich erschrocken.
    Und unter dem Kinn dieses großen Gesichtes, das mein eigenes war, rührte sich etwas: ein riesiger Katzenkopf, dessen Augen wie Phosphorseen in der Dunkelheit schillerten. Wolkig und grün durchschossen . . . Weiße Bartgrannen standen wie ein Wald von Spießen über einer gierigen, verrucht lächelnden Schnauze, aus der die Eckzähne sich langsam und fraßlüstern entblößten . . . Sie brauchten sich nur in meine Kehle hineinzusenken, in dies leblose Fleisch, dann war ich verloren . . . Ja; ich war verloren . . . Hilfe! Hilfe! – . . . Das Puppenhaus krachte in allen Wänden; und plötzlich zuckte das Licht in den Kohlenfäden der Birnen, zuckte flackernd, irrwischhaft und ging aus.
    Das ganze Haus war stockdunkel. Nur das große Gesicht draußen leuchtete wie faules Holz. Und mein eigener gewürgter, rasselnder Hilfeschrei zerspaltete die Luft, dröhnte entsetzlich über einem Chaos von wüstestem Lärm und spindelte sich in kreischende Höhe.
     
    Was geschehen war? Eigentlich etwas sehr Begreifliches.
    Als ich in völligem Tiefschlaf auf dem Bett lag, war Moloch schon im Hause gewesen; er war durch das offene Fenster der Besenkammer hineingelangt; den Fenstersturz hatte er natürlich überlebt. Seinesgleichen hat ja bekanntlich neun Leben. Er hatte sich während meiner Abwesenheit wieder in die Wohnung zurückgetraut und so war ich (bei seinem rabiaten Hunger) in meiner kataleptischen Starre sozusagen eine gefundene Mahlzeit. – Ich muß mit den Armen, als er mir an den Hals geriet, wüst umhergefuchtelt haben, denn nicht nur das Puppenhaus mit den sämtlichen teuren Kleinkunstwerken, sondern auch die Lampe lag zertrümmert am Boden. Gottlob hatte sie nicht gebrannt.
    Aber mit Moloch söhnte ich mich wieder aus (soweit man überhaupt mit Katzen in einer Art Verkehrston kommen kann), er hatte mir ja gewissermaßen durch seine Attacke wieder ins Dasein zurückgeholfen . . . Aber meine Herren, ich glaube, ich mache nicht mehr lange Gebrauch von dieser seiner – – Aufmerksamkeit . . .
     
    Habe ich Sie ermüdet? – Hm. –
    Aber nein doch, meine Herren, es mußte alles von der Seele herunter, denn es ist buchstäblich wahr. Ich bin nun wahnsinnig neugierig geworden, wie es sein wird, wenn ich für immer diesen Körper verlassen habe. Im Anfang deutete ich Ihnen schon an, daß ich drauf und dran war, das große Fragezeichen am Schwanz zu erwischen, wenn die Katastrophe nicht passiert wäre auf der anderen Ebene. Wenn ich nicht durch das Fenster geblickt hätte.
    Vielleicht wäre Marlies schließlich doch noch einmal gekommen, und wir beide wären dann Hand in Hand auf der Hinterseite des Puppenhauses hinausgegangen . . . Ins Nichts. Und Moloch hätte inzwischen dafür gesorgt, daß ich keinen Gebrauch mehr von diesem Hampelmann, der mein Körper ist, hätte machen können.
    Wir wären hinausgegangen ins wundervolle, peinlose, erlösende, schwarze Nichts.
     
    Sie bilden sich wohl ein, ich merke nichts, daß Sie sich fortwährend Notizen machen und sich zublinzeln?
    Daß Sie mich hier in die psychiatrische Klinik gelockt haben, daß ich hier ein Gefangener bin?
    Wenn Sie denken, ich sei verrückt, so ist das Ihr Privatvergnügen. Ich habe Ihnen lediglich mein Erlebnis erzählt. Machen Sie sich einen Vers drauf. Kein Wort ist gelogen.
    – – – Im übrigen, meine Herren, glaube ich nicht, daß man eine »verschleppte Grippe« oder irgendwelche anderen derartigen Mätzchen nötig hat, um einen Spaziergang (und diesmal einen dauernden) außerhalb zu machen. Ich werde das tun, wann es mir paßt; Sie können mich nicht hindern. Ich lebe jetzt nur noch deshalb ein wenig weiter, weil

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