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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Schlafwagen eines Luxuszuges, der mich von Paris zurückbrachte, jenen alten Traum wieder hatte von dem schnurgeraden Wiesenweg, dem Wald und dem einsamen Haus. Ich wußte, sie war darin und litt Todesangst. Es überwältigte mich wiederum das unwiderstehliche grauenvolle Mitleid.
    Ich trat ein.
    Schluchzend flog sie mir entgegen.
    Sie wurde zum Alpdruck. Ihr Gesicht verzerrte sich: das Tier tobte in ihr. Sie warf den Kopf zurück; ein rauher Katzenschrei brach aus ihrem klaffenden Mund. Doch ich hielt stand. Ich hielt sie umschlossen, obwohl sie tobte und mir die Hölle heiß machte. Endlich . . . endlich löste sie sich auf; mit süßem, vergehendem Lächeln.
    Damals fand mich der Schaffner auf dem Boden des Abteils liegen, mit Schaum vor dem Mund. Es sei eine Nervenkrise gewesen, sagte man mir, als ich aus der Ohnmacht erwachte. Unterernährung oder Kummer . . . Man hatte Dutzende von Erklärungen zur Hand.
    Ich hatte plötzlich große Sehnsucht nach ihr und beschloß, sie noch einmal zu sehen, um »vorläufigen« Abschied zu nehmen. Dann wollte ich weiterleben ohne sie, so gut es sich tun ließ . . . Ja, meine Herren, es ging über menschliche Kraft.

Der Blick durchs Fenster
    Zu Hause fand ich alles beim alten. Nur etwas Staub lag auf den Möbeln. Mir war feierlich zumut wie bei einem Begräbnis.
    Ich wollte ihr alles erklären. Ich wollte meinen natürlichen Tod abwarten und dann mit ihr vereinigt sein – für ewig. Das würde ich ihr sagen; sie würde Verständnis dafür haben, denn sie war ja nicht grausam. Ich hatte das lechzende Tier, das meinen Leib vernichten wollte, zurückgeschoben, einstweilen in ihr erstickt . . .
    Mit der gewohnten Methode bereitete ich alles vor. Ich drehte die Batterie an. Jedoch es stellten sich sonderbarerweise keine Geräusche mehr ein, als ich die Lampe ausgeblasen hatte. War sie bereits so geschwächt? Nur leises Trappeln hörte ich in der Wohnung . . . Wie »von Katzenpfoten«.
    Ich trat in das Puppenhaus ein und wartete. Hinter den Türen verhielt sich die Bewohnerschaft still; nur zuweilen hörte ich sinnloses Flüstern oder ein einzelnes zerbrochenes Wort, so, als dächten sie laut – ihre dummen konventionellen Gedanken; so, als seien sie alle maßlos erschreckt worden und hielten den Atem an. Ja; alles »hielt den Atem« an, das ist das Wort. Leise sang das Licht in den Birnen – oder war es die Stille draußen? Es klang wie ein langgezogenes: »S . . . s . . . s . . .« ohne Ende. Es gab keine Zeit mehr. Sämtliche Uhren waren abgelaufen. Und alles wartete mit mir . . .
    Marlies kam nicht.
    »Durch dich« (ging mir's durch den Kopf) – »durch dich lebe ich und sterbe ich; ich bin dein Geschöpf«. – War sie jetzt in Wahrheit tot und konnte nicht kommen?
    Ich versuchte sie mir mit aller Gewalt vorzustellen; wie sie im Leben war; dann als Page; dann in jener silbernen Tanzverzückung . . . War mein Hirn geschwächt? Immer nur Bruchstücke von ihr traten hervor. Trotz größter Anstrengung entglitt sie mir. Mein Herz pochte wild. Ich warf Netze ins Nichts und zog sie leer zurück.
    Eine Ewigkeit verging.
    Sie kam nicht . . .
    Verzweiflung packte mich. Die Puppen sahen mich gleichgültig und gefühllos an mit ihren dummen, lackierten Gesichtern. Ich geriet in kalte Wut. »Gesindel!!« schrie ich mordlustig, und rüstete mich zu ihrer Vernichtung.
    Ja, meine Herren, ich begann zu wüten. Ich zerfetzte die Wattebrust des Generals und trampelte auf seinen Orden. Ganz töricht sah er aus ohne Schnurrbart, denn nun war sein Mund nackt und zeigte eine dümmlich despotische Hufeisenform.
    Das ältere Fräulein mußte sodann daran glauben. Sie war, wie ich immer schon vermutete, inwendig eitel Werg, und hatte lila Seidenpapier im Schädel.
    Die Gastgeberfamilie war mir nicht so wichtig als die anderen Typen, die ich erbarmungslos zerfledderte und aufschlitzte; ganz besondere Genugtuung bot mir die restlose Zertrümmerung der gezähnten Räder und gezackten Membranen, die sie in den Bäuchen trugen.
    Ich packte das Zwillingspaar an den Beinen und zertrümmerte die Möbel mit ihnen, die albernen Nippsachen, die Spiegel . . . »Ha!« schrie ich dabei – »Ihr habt wohl gedacht, sie würde nie ein Ende haben, eure ›Ewige Teegesellschaft‹ – Der Teufel hole euch!«
    Dem Dichter riß ich seinen Skalp hinunter; der hat ausphilosophiert, dachte ich grimmig; wie ein gehäuteter Hase sah er aus; keine Spur von Goethekopf. Alles Attrappe.
    Als

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