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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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vor ihr ausbreitete. »Sieh mal, man muß doch was für ihn tun.«
    »Für wen denn?«
    »Ja, für ihn doch.«
    Mutter Ziehlke raffte die Porträts an sich und versenkte sich in sie. –
    »Herrje,« sagte sie, »das ist doch . . . Von dem hab' ich doch schon gehört? –«
    »Ja, Mutter, das ist der Junge. Papa muß ihn holen.« Und als [ob] nun das Eis gebrochen sei, sprudelte sie hervor: »Wer kann wissen, was sie mit ihm machen? Nun ist er da angekommen und kann selber nicht sagen woher, und sie sind roh mit ihm, und Geld hat er auch keins, und du hast doch Geld, und Papa hat Geld, und da ist doch noch die Kammer neben der Küche, und wir könnten ihn doch bei uns aufnehmen und es ihm gemütlich machen, verstehst du. Man muß doch menschlich sein. Und da steht doch gar nicht darin, daß sich jemand gefunden hat für ihn. Immer noch guckt er so sehnsüchtig aus der Zeitung heraus. Vielleicht ist er ja auch Deutscher, und für den Krieg kann er ja nichts. Oder meinst du?«
    Mutter Ziehlke kicherte ein wenig. »Na,« sagte sie, »du hast ja Feuer gefangen. Wie ich so alt war wie du. da habe ich noch gar nichts gewußt davon, daß es hilfsbedürftige junge Leute auf der Welt gibt.«
    »Aber Mutter«, rief Magda und blähte die Nüstern. »Die Menschlichkeit , das ist doch das Wichtige!«
    Wieder kicherte Mutter Ziehlke schwach vor sich hin.
    »Nicht viel zu spüren«, sagte sie, »von Menschlichkeit heutzutage. Na, aber es ist auch ein Gesichtspunkt. Wir geben ja schon allerhand aus für Invalidenhilfe und Hospitäler und all sone Sachen. Gott, wo kämen wir hin, wenn wir sie alle persönlich beglücken wollten. Rein aus der Puste käme man ja da.« Hier schnaufte sie tief auf, als ob schon die bloße Vorstellung ihr Asthma verursache. – Nach einer für Magda angstschwangeren Weile: »Nee, das glaube ich ja nun auch nicht. Hübsch sieht er aus, und wo dein Vater so beschäftigt ist und immer aus dem Hause, da wäre es ja vielleicht ganz nett, noch so'n männliches Wesen in der Nähe zu haben, das sich verpflichtet fühlt.«
    »Mutter,« schrie Magda auf, »dann läßt es sich machen? Dann sagen wir es Papa.« Sie war ganz außer sich. »Gleich sagen wir es ihm, und dann kann er morgen gehen und ihn holen.«
    Mama Ziehlke saß tief in Nachdenken versunken. Ihre bleichen, schlaffen Wangen zitterten leicht. Sie nickte wie eine Pagode vor sich hin, so daß die Korallentropfen an ihren Ohren mitpendelten. »Wenn mir damals«, sagte sie endlich stockend, »nicht das Malheur passiert wäre . . .«
    – – – Papa Ziehlke kam an diesem Abend sehr spät nach Hause, und da ein Übermaß genossenen Weißbieres mit Schuß ihn nicht gerade empfänglich machte, am allerwenigsten für diesen ausschweifenden und tollen Plan, so gab es für Magdas Ungeduld noch keine Entscheidung. Es dauerte noch einen ganzen Tag, bis er den ungewohnten Energieausbrüchen seiner Familie Gehorsam zollte. Endlich, am übernächsten Morgen, sehr skeptisch und verdrossen, nur um des lieben Friedens willen, machte er sich auf den Weg.
    In dieser Stimmung gelangte er zur Fürsorgezentrale.

Der Wohltäter
    Er mußte einige Zeit warten, und dieser Umstand tat noch ein übriges zu seiner Verfassung. Er wurde durch einen schlicht uniformierten Aufsichtsbeamten in ein büroähnliches Wartezimmer geleitet, wo er nach grunzender Verlautbarung seines Wunsches sich zunächst niederließ. An der Wand, auf einer farbenfröhlichen Reproduktion, betätigte sich der Jesusknabe als Tierbändiger; den einen Arm hatte er um den Hals eines gezähmten Tigers geschlungen, und die andere gab den Takt des Marsches an mit einem kleinen Palmenreis. In silbernem Hemd trabte er daher nach Kinderart. Ein Lämmlein hüpfte auf seiner anderen Seite; und viel Tiere folgten. Ein Elefant machte den Beschluß.
    Es wäre nun gut gewesen, wenn Herr Ziehlke – dem Sinn des Ortes entsprechend – auf den naheliegenden christlichen Gedanken verfallen wäre, sich unter diese gezähmten Tiere einzureihen und der kleinen Hussapeitsche aus Palmfiedern geduckten Nackens zu folgen. Demut und Bereitschaft zum Guten wären die richtige Verfassung gewesen. – Leider aber zog er noch keine solchen Schlüsse aus dem Bild, sondern saß bös und voreingenommen gegen das Gute auf dem Stuhl. Er war ein waschechter Berliner, und es war nicht so einfach, ihm mit Palmwedeln und besänftigten Tieren den Sinn für das Praktische zu lähmen – ebensowenig wie die recht augenfällig angebrachten

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