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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Komplott schmieden, da er ja selbst das Opfer eines solchen schien – eines politischen (dachte sie unklar) –; vielleicht verfolgt man ihn mit der auswärtigen Polizei, und nun spielt er hier Aschenbrödel und sehnt sich nach jemandem, der ihn erlöst. – Ob vielleicht nicht – der Kaiser  . . .? – Magda sandte sinnende Blicke durchs Zimmer. Da war er in Bronze und dort als Bild. In beiden Kunstwerken sah er ein wenig unverbindlich aus, als ob in bezug auf den geplanten Vorschlag kaum gut Kirschen mit ihm zu essen sei. Auf alle Fälle durfte man ihm, wo er doch jetzt an jedem Finger einen Widersacher hatte, nicht mit dieser Lappalie kommen.
    Magda seufzte. Sie war einsam. Ihr grimmiger Fleiß, den sie in der Schule entfaltete, war Verteidigung gegen die eigne Grübelsucht, nicht Selbstzweck. Magda las auch viel und machte die Bekanntschaft heldischer oder zärtlicher Figuren, die für ihr elegantes oder trotziges Dasein nach Verständnis schmachteten. Sie hätten nicht verdient, wie Zinnsoldaten in den Schubladen ihrer Seele zu enden. Aber all die Heroen sanken nun, vergeblich Bärte zwirbelnd oder Trotzgesten schleudernd, mit erstauntem Scheideblick ins Wesenlose – siegreich verdrängt durch den großen Unbekannten, der gar nicht danach fragte, ob sie Ivanhoe, Siegfried oder Jörn Uhl hießen. – –
    In der Schule ließ sich am nächsten Tag wenig mit ihr anfangen. Sie saß, ihren Bleistift kauend, voll unnahbar gestraffter Selbstversenkung, und ihre grauen Augen bohrten sich in das rotumränderte Vereinigte Königreich auf der großen Wandkarte, die ihr gegenüber hing. Dort am südlichen Rand krabbelte ein Pünktchen, das heraus wollte und dann über den Kanal hinweg mit einem gewaltigen Flohsprung in der Schweiz landete.
    Und dann zog sich eine schwarzpunktierte Linie von dort über Köln nach Berlin und fand ihr Ende in diesem großen Klex – mitten in Magdas Herzen. Ihre kleine Weiblichkeit dehnte sich ungeheuer aus und zog ganz Berlin in ihren Wirbel. –
    Der Lehrer sagte, aus seinem Vollbart hervor: »Glotze nicht, Magda.« –

Das Komplott
    Ziehlkes hatten Geld. Mutters Vater war Hausbesitzer gewesen und Papa war erfolgreich in Kriegsseife. Ungeheure Posten von Seife, oft seltsamer Herkunft, entstanden in seinem Betrieb und wurden an der Ostfront verwaschen.
    Sie roch manchmal so, wie wenn man die Nase in einen alten Speiseschrank steckt, aber mein Gott, sie erfüllte anscheinend ihren Zweck. Im Haushalt Ziehlke wurde diese Seife nicht verwendet. Es duftete im Gegenteil hier so, als ob die Geister eines Rivierafrühlings umgingen, auch wenn die Margarineküche ihr ernüchterndes Wörtchen mitsprach. Mit diesen Düften hing Frau Ziehlke zusammen. Sie war eine unförmige Frau, die fortwährend Stärkungsmittel benötigte, womit sich denn auch ihre Vorliebe für Parfüms erklärte.
    Magdas Geburt hatte ihr beinahe das Leben gekostet. Von Natur zum Phlegma geneigt, griff sie den damaligen ärztlichen Rat, sich Schonung zu gönnen, sehr wörtlich auf und befolgte ihn bereits fünfzehn Jahre, so daß sie gewissermaßen darüber aus dem Leim gegangen war und allerhand Übel, die sie zu verhüten gehofft, der Reihe nach einlud. Magda hatte die Mutter nie anders gekannt als pompös dahinkränkelnd . . . Sie hatte sich jedoch angewöhnt, sich die in spitzenbesetzten Morgenröcken vegetierende, mit vagen Kartenlegereien beschäftigte Frau als Beichtstuhl vorzustellen, worin eine schläfrige Toleranz ihr ständig offenes Ohr bereithielt. Wie ein Trichter war dieses Ohr, in den man sein kleines Leid schüttete. Es kam noch nicht einmal so sehr darauf an, ob eine Predigt erfolgte oder nur ein leises Zungenschnalzen. – –
    Nachdem Magda ihre Schularbeiten erledigt hatte, nahm sie die Zeitungsausschnitte und schlängelte sich an die Mutter heran. Mama Ziehlke saß in dem breiten, ebenfalls mit Plüschtroddeln verzierten Siestastuhl (alles in dieser Wohnung war so reich verziert) und ließ sich von der Ampel bescheinen, die wie ein rosa Bonbon von nie geschauter Größe an der Decke hing und all die Ergebnisse künstlerischen Machtwillens, deren Stunde damals noch nicht geschlagen, mit Boudoirlicht bestrahlte.
    »Na, was is denn, Magdachen?« fragte sie nach einiger Zeit, als die Patience nicht aufgehen wollte. – »Was guckst du denn so?«
    Bewegung kam in die magere Mädchengestalt. Sie starrte die Mutter an, vor Aufregung ganz blaß, wobei sie mit zitternden Fingern die Zeitungsausschnitte

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