Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
blitzschnell die Tür auf. Ich hörte noch das U des »Du«, des langgezogenen; alles war abgehackt wie mit einem Beil. Ich wurde wieder fassungslos.
»Sie schauspielern!« stöhnte ich. »Marlies; dies ist unerträglich . . .«
»Ja, das Echo von früher«, lispelte sie und bohrte sich die Zunge schelmisch in die Backe. »Alter Freund; dies Echo ist zäh. Du kannst dir vorstellen, was jetzt in der Besenkammer oder in der Küche für Reden geschwungen werden. Wenn sie sich nicht prügeln, will ich Hans heißen. Alles Mögliche kann passieren, denn sie tanzen ja alle letzten Endes nach deiner Pfeife.«
»Wie meinst Du das?«
»Nun, sie werden ja nur in deiner Vorstellung lebendig. Sie führen nur folgerichtig aus, was sie deinem Gefühl nach tun müßten . . . Du bist ein guter Regisseur für Gespenster! Mit der Zeit bekommt alles ein Eigenleben bei dir. Findest du nicht, daß zum Beispiel auch ich schon recht lebendig geworden bin – dank dir!«
»Aber Marlies!« stotterte ich. »Wir kannst du dich mit diesen Marionetten vergleichen!«
»Nur ein Gradunterschied«, lächelte sie liebenswürdig. »Du hast die Tür nach dem Drüben ja auch nicht so plötzlich aufgerissen, sondern es langsam und taktvoll gemacht. So konnte ich bestehen bleiben, obwohl mir zunächst mächtig unbehaglich war . . . Außerdem – das mußt du zugeben, bin ich an sich mehr wert als die ekelhaften Gebilde aus Holz und Lack. Ich falle nicht gleich mit einem Plumps aus dem Rahmen.«
Wieder umschlang sie mich; ich versank mit dem Gesicht in ihre zarte Brust im Ausschnitt des Spitzenkragens; ein lähmender Moderduft durchdrang mein ganzes Wesen wie süßliches Gift; wüste, wehe, zarte Wonne wie Auflösung meiner selbst . . . ». . . Ja, ich spreche, ich wachse, ich bin lebendig, so lange du es aushältst.«
»Und wenn ich versage?«
»Dann vereinigst du dich entweder mit mir, und wir kehren zusammen ins Nichts zurück, dort draußen vor den Fenstern –: oder du bleibst im Fleisch und vergissest mich.«
Ich hielt sie umschlungen; so durchwanderten wir das Haus. Wir stiegen zusammen die Stufen hinab.
»Keine Hochzeit,« flüsterte Marlies, »dauert ewig . . . Mark! – Es kommt einmal die Zeit . . .«
»Nie!« verschwor ich mich. »Nie!«
Sie lächelte, als ob sie's besser wüßte.
Wir waren unten. Stimmengewirr drang aus dem großen Saal. Die Deklamation des Dichters war am deutlichsten zu hören; sie schwebte im hohen Falsett über dem Lärm. Plötzlich verstand ich es. Es war jener Vers, jene Sonettzeile, an die ich selbst (wann doch?) gedacht:
... which like a jewel hung in ghastly night...«
Und hier stand sie nun neben mir, als grauseidenes Phantom eines Pagen . . .
»Kehren sich deine eigenen Gedanken gegen dich?« zischelte Marlies und sah mich grell und neugierig an. »Erträgst du's nicht? Nun, so hau' gegen die Tür!« Ich tat's, und im gleichen Moment hörte man dumpfes Klatschen, wie wenn Mehlsäcke nacheinander auf den Boden fielen.
Wir sperrten hierauf alle Puppen hinaus und hatten den großen Saal ganz für uns.
Ich weiß noch, daß Marlies tanzte und in all den Spiegeln lebte die silberne Blüte ihres Leibes auf. Ihre besondere, am häufigsten wiederholte Geste war ein sehnsuchtsvolles Entbreiten der Arme, wie ein Ruf, ein Hilfeschrei aus dem Nichts, das unter den flammenden Lüstern wogte – und meine Seele wand sich in einer süßen, fragwürdigen, fruchtlosen Schwermut.
Seitdem, meine Herren, war ich krank.
Als ich erwachte, war es wieder am späten Morgen. Ich fühlte mich so erschöpft wie nie.
Sie kennen ja die Sage vom Vampir.
Mein Körper revoltierte . . . Hätte ich die Kraft besessen, ihm zu widerstehen, seine schreienden Bedürfnisse niederzuringen, so säße ich heute nicht vor Ihnen, sondern wäre längst mit der kleinen Jungfrau vereint. Dann aber könnte ich Ihnen nie etwas erzählen, und Sie wären um eine Erfahrung ärmer; ein Paragraph würde vermißt in Ihrer psychologischen Kladde . . .
Kurz, ich bekam es mit der Angst. Ich brauchte eine Pause.
Ich brannte (ohne Beschönigung) einfach durch; sperrte die Etage ab; floh.
Wo ich war, ist belanglos. Ich betäubte mich und suchte sie zu vergessen; und stellenweise gelang's mir wohl auch. Der Spuk folgte mir, heftete sich an meine Fersen. Gottlob gelang es ihm, sich nur zu äußern in halber Dunkelheit; dann erscholl er abgedämpft; es waren tastende, verstümmelte Dinge, die er trieb. Bis ich eines Tages im
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