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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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wieder ernst. Seine Lippen wurden schmal. Er zuckte die Achseln, als wolle er andeuten, daß er die Unterhaltung als resultatlos abzubrechen wünsche. – Der Aufseher legte sich flugs wieder ins Mittel.
    »Aber Herr,« sagte er beschwörend, »nu muß ich Ihnen schon jenau ersuchen, sich reinzuvasetzen in sein Jemüt. Wenn Sie 'n weiter so anbrülln, wo er doch 'n landfremden Menschen is, machen Se 'n janz verrückt. Un' wohlteetje Absicht un' Anpfeifen is zwoerlei, sozusagen. – Na, mein Jung' –« fuhr er gegen seinen Schützling gewandt fort, nach Möglichkeit »hochdeutsch« – »nun erkläre mal diesem freundlichen Herrn hier – (und die forsche Note, die mußte nich tragisch nehm') – daß du ganz genau ausbaldowert worn bist von die Herrn Ärzte un' daß du heilig die Wahrheit sagst, wennde sagst, du weißt von nischt.«
    Hier ereignete sich das Erstaunliche, daß der Junge einen zusammenhängenden Satz von sich gab. Seine Aussprache war dadurch gefärbt, daß er die Silben falsch betonte; sonst sprach er korrekt. Er wandte sich nicht eigentlich dem zukünftigen Wohltäter zu, sondern dem bisherigen Beschützer, und sprach eintönig wie etwas Eingelerntes:
    »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet für die mir zugedachte Aufmerksamkeit.«
    Als er dies hervorgebracht hatte, atmete er erleichtert auf und überließ es den beiden Männern, sich zu wundern. Eine Pause erfolgte.
    – – – »Sehn Se! Sehn Se!« rief der brave Aufseher. »Von schlechten Eltern is er nich; so elejant red't er Ihn'. Das schüttelt er so aus'n Handjelenk; flüssig sitzt ihn das.«
    Herrn Ziehlke stand der Mund offen. – Was waren das eben für Töne gewesen? Gleichsam raffiniert hatte es geklungen; so druckreif. Er massierte daher gründlich sein rosa Kinn. Und nachdem er sich durch Reibung des gelähmten Kiefers gefestigt und in die frühere Fahrtrinne zurückgefunden hatte, erwiderte er auf die zierliche Rhetorik folgendes:
    »Von wegen. – Und ›zu Dank verpflichtet‹ – Ich würde noch die Luft halten, mein Sohn, eh' ich sone Opern singe. – ›Aufmerksamkeit!‹ – Was denn noch? Dein Gedächtnis haste verloren; gut. – Woll'n mal sehn, ob wir dir nich wieder zurückverhelfen könn' zu deinem Gedächtnis.« – Immerhin hatte ihm die Sentenz so imponiert, daß er nicht umhin konnte, den goldenen Kern in der rauhen Schale ahnen zu lassen. Auch gesellte sich die durchbrechende Heiterkeit über die so fabelhaft gewählten Ausdrücke hinzu. Lächeln konnte er nicht; das lag nicht in seiner Art. Also grölte er. – »Verpflichtet fühlt er sich!! – Das is köstlich!! « – Er meckerte noch eine Weile, während der schlichte Mann mit den blanken Knöpfen schmunzelte und der Knabe ihn voll unschuldigen Ekels betrachtete: die kleine Falkennase gekraust und die Augen verengt . . .
    Es erfolgte nun, daß Herr Ziehlke sich erkundigte, wie er seinen Probeschützling nennen solle, und der Ausseher ihm erklärte, »Max« genüge. Das in Frage stehende männliche Individuum habe, da staatenlos und unbekannter Herkunft, bereits einen provisorischen Namen erhalten. – Dies sei geschehen, weil die Polizei keine Verpflichtung spüre, den Namen der Erscheinung anzupassen. Der Name passe zwar wie die Faust aufs Auge, aber man habe im Jahr des Unheils 1915 weit wichtigere Angelegenheiten zu erledigen, zum Teufel, als symbolische Namensgebung.. Das Wesentliche stehe in Maxens Legitimation, die er vorwies; neben »besondere Kennzeichen« stand »ohne«. – Nicht einmal ein Muttermal habe er, oder eine auftätowierte Dame, oder ein krummes Fingerglied. Er sei einfach »ohne«; man habe auf seinem Körper jeden Fleck mit der Lupe abgegrast.
    Freilich – und diesen Verdacht bekam selbst Herr Ziehlke – in Maxens Seele hinein hatten diese Lupen bisher nicht gereicht. Er nahm sich daher vor, ihm »hinter die Schliche« zu kommen, und dies begann ihn fast zu reizen. Mit Komplimenten und Danksagungen des Direktors versehen, packte er sich und Max in ein Mietauto und fuhr nach Hause.
    Der Junge war stumm. Er trug nur ein ständiges nervöses Lächeln um den Mund, und als man ausstieg, bot er sich zur Unterstützung an, mit einer sonderbar hastigen Höflichkeit, als ob Herr Ziehlke eine ältere, unwirsche Dame sei.

Das unbekannte Getränk
    Man aß gemeinsam zu Mittag, und da es an Gesprächsthemen mangelte, so beschränkte sich die Unterhaltung auf Zukunftspläne des jungen Mannes. Er nahm ziemlich indifferent alle Vorschläge zur

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