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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ist es weit wichtiger, mit seinesgleichen gut zu fahren als mit den »Autoritäten«.
    Der Krieg hatte vom Lehrkörper nur das dürre Reis oder das untüchtige Organ übriggelassen. Beide rangen um seine Seele. Die älteren Knasterbärte, in ihrem täglichen Programm gleichsam eingepökelt, gaben ihm allerlei Ratschläge mit verlegener Geduld. Er war ein pathologischer Fall. Die jüngeren ließen ihrem Detektivdrang die Zügel schießen. Unter diesen tat sich besonders der Doktor Borinsky hervor.
    Für diesen fünfunddreißigjährigen hageren Herrn und seine slawischen Augen, die oft in den seinen weilten, empfand Max eine Mischung von Furcht und Sympathie. Ja, die Augen Borinskys verfolgten ihn mit ihren kleinen Pupillen, und dies lähmte ihn völlig. So benahm er sich in der Stunde, die dieser Herr gab, besonders träumerisch.
    Es hatte sich herumgesprochen, daß Max zuweilen spanische Brocken in seine Ausdrucksweise mischte.
    Borinsky ging deshalb in der nächsten Geographiestunde sehr eingehend auf Südamerika ein.
    Max benahm sich zum erstenmal seltsam. Bei den Städte- und Gebirgsnamen bekam er einen fernen Blick, dann sprudelte er einiges Hastige hervor in weichen, schnellen Lauten, die man nicht verstand. Als er es aufschrieb, waren es die einzelnen Staaten. Er gab die Einwohnerzahlen an; er wußte genau Bescheid über die Fauna und Flora . . . Und Herrn Borinsky, der ihn zwischendurch unverwandt beobachtete, wurde es klar, daß diese Kenntnisse keine neue Information waren, sondern aus dem verschütteten Bewußtsein des Knaben stammten. »Woher weißt du das so genau, Max?« fragte er. »Warst du dort?« Da aber verstummte Max, zitterte mit den Lippen und wiegte grübelnd den Kopf . . . Diese Vorgänge waren Wasser auf Borinskys Mühle.
    Er hatte ein Steckenpferd. Der Name des Steckenpferdes war Hypnose. Dieser fragwürdige Gaul hält still, wie man weiß, wenn eine berufene Gelehrtenhand ihn aufzäumt und streichelt, und trabt wohl eine Weile in der dunklen Landschaft, verwegenem Abenteuer entgegen. Bei Herrn Borinsky jedoch, der sich das Hirn vollgesogen mit unverdauten okkulten Brocken, mit dilettantischer Tischrückerei und kritiklosem Traktätchenkram, streikte er. Der Reiter hieb ihm viel zu plumpe Sporen in die Weichen. Aber da es Borinsky nicht an dem Selbstvertrauen der Halbbildung mangelte, hielt er sich für berufen. Es reizte ihn ungeheuer, als erster die Wand in der Seele des Knaben niederzureißen und sich dessen wiedererlangte Identität wie einen Orden an die Brust zu heften.
    Es war Borinsky schon öfter gelungen, einfache Kreaturen, wie Dienstboten, einzuschläfern und mit ihnen unter finster-interessierter Teilnahme kleinbürgerlicher Zirkel allerhand dramatische Szenen und verblüffende Akrobatik vorzuführen. Wer lag ihm also jetzt näher als Max Müller? Er nahm ihn von der Schule in seine Wohnung mit, um vier Uhr nachmittags.
    Hier bewirtete er ihn mit einem Absud der deutschen Kräutlein Salbei und Schafgarbe, den er Tee nannte, und Max fand keine Gelegenheit zu fragen: »Verzeihen Sie, wie nennt man dieses Getränk?« – weil er gar nicht auf den Gedanken kam, es könne etwas anderes sein als eine Medizin, die man aus Höflichkeit schlucken müsse.
    Plötzlich fand er sich auf dem Sofa liegen. Sein Hemd auf der Brust stand offen, und Borinskys Fingerkuppen huschten sacht über seine Haut, während die slawischen Augen ganz dicht über den seinen schwebten. Es wurde ihm so lange mit weicher Stimme versichert, er sei sehr müde und behaglich schlafbedürftig, daß er's am Schlusse glaubte. Immer wieder kam die das »R« rollende Stimme auf seine Müdigkeit zurück. So lag es mit der Zeit durchaus in der Luft, daß man sich aufs Ohr legte. Die Motoren draußen wurden zu schnurrenden Katzen, aus denen ein einsamer Kopf hervorwuchs voll pfeifender Atemzüge. Auch dieser verschwamm, und die Welt (so voll sie auch war von Hiobsposten und lärmenden Unternehmungen) tat ein Nickerchen.
    Ein großer Vorhang war da und eine Stimme, die die Worte scharf betonte. Deutsche Worte, die das Hirn zu quälen begannen (denn die Welt dachte ja eigentlich spanisch).

Erste Vision
    Die Stimme teilt ihm mit, er sei zwölf Jahre alt. Er sei zu Hause, es sei schön, und nun solle er genau beschreiben, wie es dort aussehe.
    Max zwinkert mit den Lidern. Es flammt davor. Er hält sich an etwas, und es gelingt ihm, die Augen weit zu öffnen. Da sieht er vor sich ein gebauchtes Balkongitter. Er ist noch vom

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