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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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sich schnell und brachte die zusammengekniffenen Lippen an die flaumigen Backen der Frau, die vor Erstaunen nicht wußte, wo sie war. Mit demselben strengen Ausdruck von Pflichterfüllung schritt er an den Hausherrn heran, gab ihm die Hand und zwang sich ein Lächeln ab. Dabei sagte er stockend: »Ich bin Ihnen und Ihrer Familie sehr verbunden für Ihre Freundlichkeit und möchte mich herzlichst bedanken.«
    Ziehlke sah ihn an wie ein Uhu und behielt seine Zigarre schief im Mund. Und dann ging Max still und zielbewußt auf Magda zu und gab ihr einen langen Kuß auf den Mund. Sie wurde ganz blaß; dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und gab ihm den Kuß sehr andächtig zurück.
    Als dies abgelaufen war, verschwand der Knabe mit einer höflichen Verbeugung.
    Vater Ziehlke paffte heftig. »Das nennt man einbuttern«, äußerte er. »So wickelt er euch Weiber ein. ›Gestatten Sie‹ . . . ›zurückziehe‹ . . . ›sehr verbunden‹ . . . Hast du schon mal so 'nen Bengel gehört?«
    »Kannst sagen, was du willst, Ziehlke«, sprach die Madame mit viel Autorität, und ein Lächeln zerquoll auf ihrem Gesicht, als werde ein Honigtopf darauf umgekippt. »Das sind nicht bloß leere Manieren . . . das is Herz. Jawohl: Herz hat der Jung'. – Geradezu goldig, das is er. Du natürlich: losgepoltert und grob, als ob es was könnte für deine olle Seife, das Engelchen.«
    Vater Ziehlke begrub das Erlebnis unter einem Grunzen.

Das Bild in der Zigarrenkiste
    Magda, nun fünfzehnjährig, saß auf ihrem Zimmerbalkon, der in die Hinterhöfe wies, und hatte die Füße auf die Querleisten des Geländers gestemmt. Sie trug ein leichtes rotes Kleid aus Seidentrikot. Die Arme, nackt und merklich voller, hielt sie hinter dem Nacken gekreuzt. Es war ein heißer Sonntagnachmittag im September. In den Höfen spielten Kinder; ihr dünnes Geschrei drang herauf. Die mageren Büsche und vereinzelten Bäume zeigten verdorrtes Grün. Es hatte lange nicht geregnet, und das Himmelsviereck zwischen den Häusern hatte jene metallische Mischung von Trockenheit und Großstadtdunst, die dem Blau alle Leuchtkraft nimmt.
    Zwischen Magdas bloßen, gespreizten Knien, deren weiße Haut seidig schimmerte, lag eine offene leere Zigarrenkiste – eine Importenkiste aus dem karg gewordenen Bestand ihres Vaters. Darin hatte sie alle Utensilien ihrer Stickerei, die in ersten Anfängen steckengeblieben war. Magda war heute wieder wie öfters in der Laune, sich der Zeit, die so wetterschwanger und aufreizend drohte, produktiv »zur Verfügung zu stellen . . .« – Wenn Magda nur im entferntesten ahnen würde, wie sie das machen sollte!
    Max erschien. Sie streifte ihn mit einem Seitenblick, und er lehnte sich neben ihr ans Gitter. Und als sie den Ausdruck seiner dunklen Augen sah, erkannte sie in ihnen den Hunger. Dieser Ausdruck richtungslosen Hungers war nicht allzu häufig gewesen in den letzten Monaten, in denen er viel gelesen hatte und sich orientiert über sein neues Vaterland. Er blinzelte gegen die Sonne und besah sich dann langsam das triste Panorama eingekerkerter Menschheit. Plötzlich seufzte er tief; er nahm die Zigarrenkiste spielerisch aus ihrem Schoß und versenkte sich in das bunte Bild auf der Innenseite des Deckels.
    Ein weißgekleideter Neger mit einem Topfhut aus Bastfasern und einer roten Schärpe lehnte an einer Kistenpyramide. Im Hintergrund, auf einem Strich Wassers, schmauchte ein Dampferchen. Auf der anderen Seite der Pyramide stand pfeifenrauchend ein besinnlicher Indianer in einer türkisblauen Federnkrone. Die beiden führten, jeder für sich, ein unbelästigtes und triebhaft zufriedenes Dasein. Ihre Interessengebiete durchschnitten sich nicht, das sah man; der Tabak vereinte sie auf ihrer kolorierten Basis. Sonst wuchsen noch viel große Blätterwedel vor einer grünen Hügelkette. Durch den Tropenhimmel hindurch zog sich eine Girlande von goldenen Medaillen: der »
Grand Prix
« von Paris, von Brüssel. Auf der einen prangte, als Cäsarengemme, Napoleon der Dritte in wehrhaftem Lorbeerschmuck. Diese Medaillen schwebten sonnig über einem Cuba, das einem Kinderträumchen glich.
    Max starrte in das Bild hinein. Auf einmal war er der Dritte im Bunde . . . Ein Gefühl erfüllte ihn wie eine längst vergessene, ungeheuer vertraute Melodie. Seine Stirn krauste, – seine Lippen öffneten sich. Oh, wenn das Trübe doch wiche und das andere Drängende zur Form geränne! Die Musik begann zu pulsen . . . Doch dann war

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