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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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neuen Wollust – wenigstens für Herrn Zinkeisen. (Denn die Engländer nehmen, unmusikalisches Gelichter, tiefernst Notiz davon, als von gutgemeintem Begleitgeräusch zu ihren phantasielosen, silbenarmen Gesprächen.) Mit Zinkeisen steht es nämlich umgekehrt: den Tag über ist er munter und abends lässig träumerisch. Die Zenitsonne hat auf ihn den Effekt wie auf die Fische, die er draußen am Kalang oft freundlich betrachtet, wenn man sie füttert. Vor Gier in Schichten sich überstrudelnd, erzeugten sie eine wahrhaftige Brandung. – So erweckte der Sonnenpfeil in ihm zappelnde Lebendigkeit und war der Entladung seiner Energien nicht dämpfend schädlich, sondern im Gegenteil günstig. Von der schauerlichen Straffheit, die ihn mittags beseelte, wußten seine Kunden, die wie tote Fliegen umherlagen, ein Liedchen zu singen. Es war nicht ausschließlich nur der frische Geschäftswind wilhelminischer Energie, der durch die stagnierende britische Atmosphäre fuhr, sondern Zinkeisens persönliche Frische . . . eine fluchenswerte Frische, die keine Kompromisse kannte . . . Und mit der Wichtigtuerei, von der er besessen war wie ein hastendes Insekt, ärgerte er alle Welt bis zum Weinen. – Dann, wenn es kühl wurde, wenn er sich hätte gehen lassen dürfen , wenn jedermann es ihm verziehen hätte, daß er sich laut austobte. – – ja, dann machte er es gerade umgekehrt als seine Umgebung; er »baute ab«. Saß schlaff und träumte. Wurde weich und schweigsam. Innig gleichsam. So wenigstens sah es aus.
    In Wahrheit war es etwas anderes. Zu seinem Gefühl tagsüber restlos erfüllter Pflicht trat allabendlich ein seine ganze Person derart durchtränkendes Selbstbewußtsein, daß er mit Mühe an sich hielt, um nicht keck zu werden. Er hatte Geld in der Tasche, war ein unabhängiger Mann. Weißer war er, Europäer im weitesten Sinn, der die farbige Stadt in die Tasche steckte. Auf einmal kamen die Engländer nur noch als Auch-Europäer in Betracht. Unter diesem Gesichtspunkt blähte sich abends, was klein war, und schrumpften die Tagesgötter. Man geriet aufs gleiche Niveau und stand, sofern man weiß war, hübsch in Reih und Glied. Dann wurde das trocken gehaltene Pulver von Potsdam bündig gegen den Union-Jack gesetzt . . . Schach gegen Schach. Dann verschwanden die feineren Unterschiede; man war eine geschlossene Front und bot dem Osten Trotz. In diesen verträumten Völkerbund, der im Hirn Zinkeisens nistete, wurde aus dem Süden nur noch Mijnheer hineinbezogen . . . Dann, nach Verschweißung dieses Trios, war Schluß.
    Kein Wunder, daß »Eddy« sich abends auch am natürlichsten benahm. Da gab es kein geschmeicheltes Aufzucken mehr unter einem Schulterklaps. Er lebte und ließ leben.
     
    Am Vorabend des Tages, an dem sein Schiff nach Bangkok ging, um ihn nach einigen Stationen in Vorderindien der deutschen Heimat wieder zuzutragen, speiste er noch mit einem besonderen Genuß auf der Gartenterrasse des Adelphi. Er hatte guten Grund, mit den Ergebnissen seiner Tätigkeit zufrieden zu sein.
    In seiner Nähe saß ein junger Beamter, dem man ansah, daß er zur Garnison gehörte. Seine blauen Augen wirkten in der satten Bronzefarbe seiner Züge, unter der falterumtaumelten Bogenflamme, schier lila. Er war sehr schlank und groß; ein Prachtexemplar. Jede seiner Bewegungen verriet, daß er seinen Körper unablässig trainierte. Vermutlich war er als Hafenbauingenieur bei den Pionieren tätig; dies war die Kompagnie, an die die radikalsten körperlichen Anforderungen ergingen. Er schien im Alter des Betrachters, beiläufig siebenundzwanzig Jahre alt.
    Geräuschvolle Lustigkeit herrschte an jenem Tisch; offenbar wurde ein Geburtstag gefeiert. Major Prendergast (diesen Namen entnahm Zinkeisen ohne Mühe dem Gespräch) schien jedoch nur gezwungenerweise mitzumachen. Er stützte mehrmals seine Stirn in die Hand, an der, wie ein Blutstropfen, ein Siegelring mit einem großen Karneol blinkte. Angeprostet, riß er sich zusammen und mimte den Fröhlichen; es war erstaunlich, welche Quantitäten von Alkohol er zu sich nahm ohne sichtbare Wirkung.
    Zinkeisen spürte eine gewisse Sympathie für diesen Mann, ohne genau bei sich zu erforschen, weshalb. Er ließ sich nur von seiner träumerischen Paschastimmung ins Grenzenlose dahinschwemmen, und so mochte ihm eine Art von Allgefühl, eine brüderliche Tendenz zum allgemein Menschlichen, unterlaufen . . . Dies Empfinden wurde leis materiell unterstrichen durch das

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