Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
tränenden Schlitzaugen war ein glückverlorenes Lächeln entstanden.
Ohne aufzusehen, winkte er mit dem Bleistift. – »Kleinen Moment«, murmelte er. – »Ich bin gleich fertig.«
Der Aufseher ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen, so schwer, abschließend und gelockert, daß der Buchhalter flüchtig aufblickte.
»Müde, was?« grunzte er. – »Kleinen Moment bitte.«
Schnaufend saß Herr Zinkeisen da und blickte stier auf jene fette rötliche Hand, die eine zierliche Kritzelschrift am Rand des Papiers entstehen ließ. Ein großer Brillant warf im Schein der Tischlampe scharfe Lichthiebe in das Dunkel.
Wie hypnotisiert folgten seine Augen den spärlichen Bewegungen, und ohne daß er's verhindern konnte, hatte sich aus dem Tröpflein Galle lawinenartig eine anschwellende Wut entwickelt, die ihm den ganzen Menschen zu sprengen drohte.
Diese Wut richtete sich nur teilweise auf Herrn Brecht. Dieser war ja eigentlich nur ein Statist, wenn auch ein in den Vordergrund geschobener. Erfüllte die ganze Umgebung den Aufseher schon mit Abwehr und Schmutzempfindung, so gab es ein Loch, in das alle diese Leiden hineingesogen wurden. Das war das runde, satte und gleichgültige »
No
« des Mannes im Klubsessel draußen im Rauchzimmer; jenes Mannes, der auf dem kranken Leib Europas mit der Reitgerte hockte und Rauchringe dazu blies.
Man ist ja nicht von seinem Schlag, das gibt man ja zu . . . dachte Herr Zinkeisen dumpf. – Aber ein bißchen sehr plötzlich wird man auf die eingeseifte Rutschbahn gesetzt und landet weiß Gott wo. Verdient habe ich das nicht. Das ist mehr als Eitelkeit; mehr als Selbstgefälligkeit; das ist verdammte Provokation. Als ob er nicht gleich mir über den Scherbenberg hätte hinüberklettern müssen! Er hat es leichter gehabt mit endlosen Konserven und Güterzügen voll guten Tabaks hinter sich. Ich habe ihn den ganzen Krieg über ehrlich beschossen, und er hat mir sein ehrliches Dynamit zurückgeworfen; allerhand explodiert ist zwischen uns. Nun aber ist das Match ganz und gar vorbei. Was berechtigt diesen Burschen, mir ungebeten die Würmer aus der Nase zu ziehen?
»Kleinen Moment, bitte«, grunzte Herr Brecht und zog Schlußstriche unter seine Zahlenkolonnen.
›Ich bin ein Mensch,‹ ging Herrn Zinkeisens trübe Überlegung weiter, ›der was auf sich hält. Keiner, und mag er herkommen wo er will, hat die Berechtigung, mir krumm an den Wagen zu fahren. Tue ich nicht meine Pflicht? Man ist doch solid, man hat doch zu dem ganzen Unfug nichts beigetragen! Im Gegenteil, geglättet hat man, wo man konnte, Sprachen gelernt, mitgemacht . . . Gibt wohl wenige wie mich, und nun auf einmal kommt einer von denen da‹ – Herr Zinkeisen machte eine Daumendrehung nach dem Westen – ›und will mir erzählen, wer er ist . . . Reibt mir unter die Nase, was ich in seinen Augen bin, als sei es eine Schnupfprise, und verabschiedet mich wie einen kleinen Laufjungen . . . Das hätte mir damals passieren sollen! Das hätte mir nur passieren sollen!‹
Er war aus seiner Lethargie erwacht; er sprach die letzten Worte laut in das kleine Büro hinein. Herr Brecht, der sie als Anrede mißverstand, zuckte zusammen und verrechnete sich um einige Dezimalstellen.
»Wie, bitte?« fragte er halb abwesend.
Herr Zinkeisen war genau so erschrocken. – »Nichts«, stotterte er. »Man plaudert ein wenig mit sich selbst, während andere verdienen . . .«
»Ja!« schrie der Buchhalter jetzt fröhlich und klappte sein Hauptbuch zu. »Dann ist man ja auch in ehrlicher Gesellschaft. Die einzige Ansprache, bei der man auf seine Kosten kommt! – Aber, Zinkeisen, Sie machen mir einen versonnenen Eindruck. Was ist denn mit Ihnen los, alter Knabe, seit vorgestern? Erzählt man mir nicht, daß Sie anfangen mit dem Alkohol zu äugeln? Klopfen Sie dem Liftjungen einmal kräftig auf den Arsch, er verdient es, das Rotzmaul . . . Und nun, wie steht's sonst? Wollen Sie auch ein kleines Geschäftchen machen? Ich kann mir ja denken, wie schwer es ein ehrlicher Mensch haben muß . . .«
Eine merkwürdige Wandlung ging in Herrn Zinkeisen vor. Unter anderen Umständen wären ihm die weindunstenden Worte, die zwischen den Goldplomben dieses satten Mundes hervorquollen, als Herausforderung erschienen. Heute jedoch nahm er alles auf die leichte Achsel. Er fand sich erschreckend leicht in den Ton hinein.
»Ganz treffend, was Sie da äußern«, sagte er mit seiner schneidenden Hamburger Stimme. »Sie haben es
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