Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
aufgebauscht zu werden verdiente!
»Sie wünschen?« fragte er. – Der Engländer antwortete nicht sofort. Er starrte nur zu ihm herüber. Es war aber keine Indignation in diesem Blick, sondern eher große Nachdenklichkeit, so als sei die sich nähernde Person aus Glas und als betrachte er durch sie hindurch aufmerksam einen Gegenstand hinter ihr an der Stuckdecke oder sonstwo . . . Plötzlich fuhr er sich mit der tropengelben Hand, an der ein großer, aus Karneol geschnittener Siegelring saß, über die schmale Stirn . . . Und endlich fragte er: »Ihr Name ist Zinkeisen?«
»Zu dienen, mein Herr.«
»Scheußliches Wetter im Vaterland, was?«
Herr Zinkeisen war verwirrt. Er erwiderte bieder und zurückhaltend:
»In jeder Beziehung, mein Herr. – Sie beobachten scharf.« – (Die Unterredung vollzog sich in flüssigem Gebrauchs-Englisch.) – Die hagere Figur steifte sich, so daß sie die Lehne nicht mehr berührte, und zog die in die Gegend vorgestreckten Füße mehr nach der Kante des Sessels hin. Der Rauch einer süßlichen Zigarette stieg kaum gewellt aus den Mundwinkeln des Engländers empor; während er redete, geriet der Qualmfaden nur in sanftes Schwanken, so äußerst lippenfaul kamen seine Worte:
»Sie haben heute einen kleinen genehmigt, was? – Kann man verstehen; muß ja auch scheußlich sein, den Betrieb zu sehen bei dieser verrückten Valuta . . .«
»
Yes, Sir.
– Es ist kein schönes Leben.«
»Großer Gott, wenn ich in Ihrer Haut steckte, ich läge wahrscheinlich den ganzen Tag glorreich betrunken unter dem Tisch, verstehen Sie? – Und ich würde keinen Finger rühren, um diesen Gaunern zu helfen.«
»Ich muß existieren, mein Herr.«
»Wenn man aber fühlt, daß man nicht am Platze ist . . . Kommt mir vor, als durchschauten Sie den Betrieb . . . Muß doch eine Sorte von Hölle sein für einen anständigen Kerl . . .«
»Sehr richtig, mein Herr. Die Neuigkeit Ihrer Auffassung hat etwas Frappierendes.« – Herr Zinkeisen leistete sich diesen kleinen Sarkasmus. Es war ihm alles gleichgültig geworden. Er fühlte fast schon das Bedürfnis, alles in sich aufzureißen und sämtliche Schubladen hervorzuziehen, die gehäuft voll lagen von Nieten des Lebens.
»Ja, mein Herr,« sagte er fast drohend und trat einen Schritt näher, »wir sind sehr ins Hintertreffen geraten. Wir haben diesen Krieg verloren, aber wir haben es nicht nur als Volk auszubaden. Jeder einzelne muß blutig bezahlen. Es gibt sogar Landsleute, die dabei fett werden und prosperieren. Es gibt aber auch Menschen, denen die ganze Würde wankt. Ich bin ein einfacher Mensch. Ich habe mich mißbrauchen lassen in gutem Glauben. Hinschmeißen hätte man es sollen, rechtzeitig hinschmeißen. Aber was wollen Sie, wenn die Panzerfaust im Nacken sitzt?« – Sein Gesicht wurde fleckig, seine Lippen zitterten, seine Haltung war gelöst. – »Und ich kenne doch die Welt. – Ich bin herumgekommen. – Unsere Presse hat uns belogen, wir sind auch wohl einmal mit Hurra durch dick und dünn gegangen wie Ihre Tommies. Ein paar Wochen, nun ja, bis man Bescheid wußte, ein paar Monate, bis man Routine daraus machte und gar nicht mehr nachdachte . . . ›Das ist nun so eine Auseinandersetzung in großem Stil‹, bildete man sich ein, ›und darunter geht das Verständnis weiter‹, – verstehen Sie – ›von Mensch zu Mensch.‹ – Daran hat sich ja gar nichts geändert, mein Herr, an solchem Verständnis; nur die Politik und die Presse haben so jämmerlich gehaust.« – Er wurde immer erregter, er wanderte mit kurzen, exakten Schritten auf dem Teppich hin und her; zuweilen dämpfte er seine Stimme, wenn Menschen die Halle durchquerten; er tat die Maske an und nahm sie wieder ab . . .
Der Engländer starrte ins Leere an die Stuckdecke. Herr Zinkeisen brachte noch manches hervor. Der angedämmte Strom, die Bitternis von Jahren wollte sich nicht ohne weiteres lösen. Bruchstückweise kam es, wie sein Hirn es ihm zuspülte. Doch hatte das Bekenntnis das Gepräge der Echtheit.
»Wo will man hinfassen«, rief er gestikulierend.
»Wohin man greift, ist nichts zu erwischen. Alle gewohnten Werte sind schlüpfrig geworden. Man will ja nicht viel, man will ja eigentlich bloß leben dürfen nach bescheidenem Vermögen; aber wo kann man es? Überall hindern einen die Bestien im eigenen Land, und im Ausland wird man nicht mehr als Mensch genommen, sondern mit den Theaterrequisiten der Machtbesoffenheit von früher in die
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