Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
verschlossen gewesen in der treuen Gruft aus Kalbleder. Irgendwelche Gerüche spukten darin. Die kamen nicht nur von der Gerberlohe; das war der Äquator.
Die Zeit träufelte siedendes Öl in sein Herz.
»Warum gehst du nicht schlafen?« kam auf einmal eine träge Stimme aus der Schwärze hervor, und mit der Stimme trat ein Geschöpf in den Lichtkreis der grünen Lampe; mit aufgelösten Haaren und in fußlangem Hemd. Er hörte das leise Knarren der Dielen unter nackten Sohlen. – Spreizbeinig stand er da und sagte etwas heiser, und ohne sie anzusehen: »Ich packe.«
Sie trat schnell herzu und faßte ihn am Ärmel.
»Du packst . . .?« stammelte sie. »Mach keine Witze!«
Das schweißfeuchte Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Er tat ihre Hand vom Ärmel und sagte: »Ich war nie weniger zu Witzen aufgelegt, Mathilde.« Wie ein menschlicher Automat ging er in die Küche, trug die halbgeleerte Flasche, doch diesmal mit zwei Gläsern, herzu und machte es sich in dem schönsten, mit Quasten garnierten Fauteuil bequem. Sie beobachtete sein Gehaben mit offenem Mund wie ein Naturereignis. Dann, als er saß, schob sie ihren nackten Arm um seine Schulter. – – Auch diesmal befreite er sich, fast unwirsch. Sie stand mit zitternden Knien.
»Herr du meiner Seele, was ist denn eigentlich mit dir los, Edmund? Du schmeißt das Geld im Zimmer herum . . . du trinkst; . . . was ist passiert?«
»Passiert ist noch nichts. Aber es wird was passieren«, murmelte er und begann wie ein Automat allerhand Gegenstände herbeizuschleppen. Um dem riesigen Fragezeichen endlich gerecht zu werden, das er verursacht hatte, fuhr er abgerissen fort: »Ich gehe eine Weile ins Ausland . . . ich habe dies Leben sterbenssatt . . .«
»Ins Ausland??« Sie ging im Zimmer umher, gedankenlos geschäftig, als ob es am hellichten Tage sei. Sie zupfte an Tischdecke und Stuhlkissen, sie »räumte auf«, wie sie es viele einsame Stunden hindurch ununterbrochen tat, während derer sie »raffte«, richtig stellte und gerade rückte, was nie schief gestanden war . . . Das machte das öde, unerfüllte Alleinsein. Er kannte das. Es war grotesk. Sie wollte es nicht wahr haben, was sie gehört; es war gar nichts gesprochen worden. Sie wollte es ihm gemütlicher machen. Haßte er nicht alle Unordnung?
Und doch, nicht wegzuzaubern, mitten in diese Ordnungszelle hineingeschleudert lag das Symbol des Zigeunertums, der große offene Kalblederkoffer, klaffend wie ein schnappendes Maul mit Messingzähnen . . . Sie strählte sich mit den Fingern die Haare von der Stirn und schielte verkniffen nach den Hotelmarken. Wie Aushängeschilder der Unterwelt leuchteten sie bunt zu ihr hinauf.
Sie fiel in die Knie, quer über den Koffer, und ihre Hände öffneten sich mit kratzender Bewegung, als wolle sie diese marktschreierisch orangefarbenen und karminroten Papierchen, diese fremden, gefährlichen, unverständlichen Amulette herunterreißen, die der liebe Gott nicht bloß auf den Koffer, sondern auch auf Herrn Zinkeisens inneren Menschen als Pfandzettel geklebt . . . Doch die »Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten« – die hätte sie nie und nimmer wegkratzen können.
»Jetzt nimm dich zusammen«, sagte er schmetternd. – Sie wischte sich mit dem nackten Oberarm mehrmals über Mund und Nase; Tränen und Speichel glitzerten auf der Haut. Sie stand auf, stolperte einmal über den Hemdzipfel, auf den sie trat, und wankte nach dem Sofa. Fortwährend stieg ihr trockenes Schluchzen in die Kehle. »Du fährst einfach weg?! Und mich läßt du hier in der Luft hängen?!«
»Ich denke, ich habe mich deutlich ausgedrückt. – Übrigens mache ich wahrscheinlich nur Saisonkontrakte . . .«
»Ja, und was wird mit mir?«
»Stenographieren sollst du. Briefe schreiben im Hotelbüro. Kündigen können sie dir nicht. Brecht wird schon entsprechend mit dir abschließen.« Er nahm einen Schluck, schlug die Beine übereinander und räusperte sich scharf. – In seiner Seele fuhr es fort, sanft zu rumoren. Unerhörte Aussichten schlängelten sich durch seine Phantasie wie fernlockende Höhenzüge, und auf diesem Traumpanorama machte sich das graue Schicksal dieser Kreatur völlig unbedeutend. Sie kannte ja nichts als ihren eigenen Horizont. Im Grunde genommen wurde sie jetzt von einem Tümpel zum anderen verfrachtet. Sache von Angewöhnung . . . Ganz großer Herr, trommelte er mit den Fingern auf der Tischkante. Ja, er
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