Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
sei man hier schließlich auf dem Kontinent, und sie sei froh, von einem Untergebenen endlich einmal ernst genommen zu werden. Ihren Butler zu Hause wage sie nicht derart scharf zu beschäftigen; flugs müsse sie dann Angst haben vor seiner gekränkten Onkelmiene. Er solle nicht immer den langweiligen Tory mit sich herumschleppen. Trotz Indien sei die Welt doch noch bunter, Gott sei Dank, als sie sich in seinem schmalen Schädel male.
Diese Predigt amüsierte den Engländer nun gewaltig, und er bog sich mit abgehacktem, kurzem Lachen in den Stuhl zurück. Es war sein Klubgelächter, und sie liebte es an ihm. Was sie denke! Er verstehe doch, Teufel ja, eine Masse Spaß. Man müsse sich anpassen; sie habe recht! – Worauf sie sagte, daß es sehr tolerant von ihm wäre, ihren Standpunkt zu teilen. Hierauf steckten sie die Köpfe zusammen und prusteten sich wie zwei große Kinder ins Gesicht. Mit Mühe beherrscht, blinzelten sie sich die Augen nach einem Schluck Champagner wieder blank. Diese Heiterkeit ging nicht nur auf Kosten Herrn Zinkeisens, dessen rotgesichtige Geschäftigkeit wieder im Saale spürbar wurde, sondern auch auf Kosten dieser ganzen hemmungslos schlemmenden Menschheit ohne Rasse. Ihr Gelächter war spurlos in der Musik untergegangen.
Nun erschien Herr Zinkeisen und sagte mit einem Senkblick auf die Dame: »Es ist alles in bester Ordnung! Alles schon unterwegs!« – Dann postierte er sich etwa zwei Meter entfernt wieder in scheinbar unbeteiligter Aufseherhaltung neben den Tisch. Er versäumte nicht, kurze Ausflüge zu anderen minderwertigeren Herrschaften zu machen; doch nie entfernte er sich so weit, daß er nicht durch ein leichtes Wort wieder zurückgelotst werden konnte. Bei dem englischen Paar, das bester Laune schien, wurde der Wunsch nach einer zweiten Flasche Sekt lebendig. Das Zugehörigkeitsgefühl zu seinem Lieblingstisch wurde in Herrn Zinkeisen immer stärker. Auch blieben die drei Cocktails, die sich Herr Zinkeisen genehmigt, nicht ohne Wirkung: sie waren wie Benzin auf glimmendem Zunder. Er riskierte eine leichte Verbeugung, eine kleine Schelmerei: »Wir wollen es«, sprach er flüssig, »heute einmal auf eine Nacht ankommen lassen, was?« – Worauf die Dame mit einer Stimme, die von verschlucktem Lachen bebte, ihm recht gab und der Herr ihn einen verschmitzten alten Sünder nannte. Beschwingten Schrittes eilte er dem Kellner entgegen, den er ausgesandt, entraffte ihm die Flasche eigenhändig, entkorkte sie mit neckischen Gebärden und schenkte ein. Bei dieser Gelegenheit, ein boshafter Gott mochte wissen wie, benahm er sich ungeschickt. Vielleicht kam ihm blitzartig zum Bewußtsein, daß es mit der »Zugehörigkeit« doch eine eigene Bewandtnis habe . . . Jedenfalls zitterte seine Hand und der Sekt spritzte abseits, ja, einige Tropfen verirrten sich in den Busen der Dame. – Ein drohender Unterkiefer schob sich plötzlich wieder vor, und die Eingefrorenheit war da, das erkältende Moment. Die Dame sagte lediglich: »Eine Dusche . . .« – während von der anderen Seite her scheinbar von Turmeshöhe eine rostige Stimme laut wurde: »Nehmen Sie sich doch zusammen!« Der schwarzhaarige Kellner sprang sofort ein, der nicht umsonst von Neugier geplagt auf der Lauer gelegen hatte, und nahm Herrn Zinkeisen den Rest der beschämenden Beschäftigung ab. Diesem fuhr das Wort des Engländers wie eine kalte Nadel durchs Hirn. Schmerzhafte Verschiebungen geschahen in seinem Innern. Er raffte alle noch vorhandene Würde zusammen, trat erblassend vom Schauplatz und tat die halbe Stunde, da die Herrschaften noch speisten, nichts mehr dergleichen oder vielmehr nur das Nötigste.
Das Ausland gibt Audienz
So kam es auch, daß Herr Zinkeisen fast erschrak, als der kleine Hallenpage nach dem Aufbruch der Engländer erschien und ihn ins Rauchzimmer hinüberbat. –
Dort sitze ein Herr, der ihn zu sprechen wünsche.
Gemessen nahm der Aufseher den Auftrag in Empfang und wanderte durch das Hotel, langsam hier und da kurzes Kopfnicken spendend . . . Wollte er sich das Rückgrat stärken durch einen zeremoniellen Abzug?
Im Rauchzimmer saß der Engländer allein in einem geräumigen Ledersessel, und es traf sich so, daß zufällig niemand zugegen war. Mit leicht militärischem Schritt näherte sich Herr Zinkeisen; wozu wurde er benötigt? Hing es etwa mit der kleinen Ungeschicklichkeit von vorhin zusammen? – Aber dies war doch ganz offensichtlich eine Lappalie, die von Herrenmenschen nicht
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