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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Füße auf kleine Stützpunkte des Ornaments gebettet, mit schlangenhaft gebogenem Kreuz silbern unterhalb der Proszeniumsloge hing. Er nahm dort bei ihm geneigten Mitgliedern der Direktion gewohnheitsgemäß einen anstachelnden Cocktail zu sich. Unter ihm gähnte die schwarze Tür der Kulisse, in der er dann mit weichem Sprung untertauchte wie ein huschendes Reptil.
    Die Lichtgeschehnisse wickelten sich weiter ab; verschiedene Farben überschwemmten die Bühne. Als letzte hielt sich ein Rot, überblendete die amphitheatralisch gestaffelte Menge, deren Geräusch wie das einer großen, schweratmenden Bestie in den Raum trat, und füllte die fernsten Winkel wie Blutgerinsel. Dann ward es wiederum halbdunkel. Der Lärm verebbte. – – – Ein heiserer, trotziger Schrei kam aus der Kulisse; ein Heroldschrei. Dann folgte Niklas.
    Er spazierte auf den Händen herein. Er war ein zappelnder Ball von Silber. Er schnellte sich durch zwei papierverklebte Reifen, die rechts und links von unbeweglich hingepflanzten, grotesken Clowns gehalten wurden. Sie hießen »Ned & Nolly« und waren auf einer Europatournee. Der eine war lang und dürr, der andere feist und phlegmatisch. Nichts konnte sie verblüffen.
    Es gab ein krachendes Geräusch von berstendem Papier. Die Reifen entrollten unter dem Zetern ihrer Besitzer, die insgeheim auf Niklas aufzupassen hatten. Dieser stand nun auf einem zehn Meter hohen exponierten Aluminiumgestell; frei und federleicht. Er bog die Knie – und während ein langer Trommelwirbel das Orchester erschütterte, stieß er sich ab, überschlug sich zweimal in der Luft, und als man dachte, er müsse wie ein Sack auf den Boden aufklatschen, hing er an einem kaum sichtbaren Seil. Vom Anprall seiner treffsicheren, gepuderten Handteller bäumte es sich; in weiten Pendelschwingungen fuhr es auf und nieder . . .
    Doch der Springer wiegte sich wie ein Fabelwesen, wie ein Falter über der Schlucht des Todes: – Tyrann des Raumes , den er mühelos zu meistern schien! Den Kopf reckte er nach der Sonne, der Bogenflamme unter der verdämmernden Höhe des Bühnendachs, die dort ihre leise siedenden Fixsternhymnen sang . . . Das Publikum lag im Bann. Nur mühsamer Atem bewegte die Tiefe.
    Endlich – sieh! – lief er wieder die Leiter des Gestells herab wie ein leuchtendes Wiesel; löste er die schwindelnde Spannung; glitt er aus seiner entrückten Region auf das zurück, was den anderen gesicherter Boden, Erde und Welt bedeutete.
     
    Man mußte Signor Borromeo einräumen, daß jenes Organ, daß bei ihm Hirn hieß, nicht in der Hypertrophie seiner Körperlichkeit eingeschrumpft war; vielmehr schien es, daß es seinen normalen Umfang beibehalten hatte und darüber hinaus von blendenden künstlerischen Einfällen gelegentlich durchzuckt wurde.
    Dies letztere geschah zwar nicht allzu häufig, und keineswegs konnte er sich schmeicheln, daß etwa bei der Umwerbung und Eroberung Barbaras sein Geist eine nennenswerte Rolle gespielt hätte. Immerhin machte die Seltenheit solchen Vorganges ihn bedeutsam, und man nahm ihn ernster und andächtiger zur Kenntnis, als sonst die Marotte eines »Stars«.
    Er machte nämlich der Truppe im Artistencafé einen Vorschlag, der an Poesie seinesgleichen suchte. Es sei ein neuer Trick. Die alten zögen nicht mehr; er habe (und das beschwöre er bei der Mutter Gottes und dem Blut sämtlicher Heiligen) schon dreimal in den letzten Tagen bemerkt, daß man in den Orchesterlogen Zeitungen lese. Sei das der Lohn ihres Schweißes? Es sei ja auch wie Kasernendrill oder Turnerfest, was sie jetzt machten; man könne schon fast einen Feldwebel damit zum Gähnen treiben. Hätten die Herren, mit denen zu arbeiten er die Ehre habe, denn ganz vergessen, daß sie Künstler seien?! – Man müsse etwas absolut Neues bringen.
    Die anderen vier
Smashing Beauties
sahen sehr gedankenvoll drein, mit dicken Falten unter den blonden Simpelfransen, und meinten, es habe Hand und Fuß, was er vorbringe. – Barbara hing an seinen Lippen. Er bemerkte es und lächelte geschmeichelt.
    Er paffte eine Wolke aus seiner Hafenzigarette über den Tisch. – Seine Idee sei, sagte er, folgende: er wolle die ganze Gruppe stemmen. Es sei eine verdammte Anstrengung, aber in einer ganz bestimmten Positur (die er ihnen erläuterte) sei es vielleicht zu machen. Der älteste der Brüder, auf Borromeos Schultern stehend, solle die Balancierstange abgeben für die zwei anderen, die rechts und links den Nacken dieses Ältesten

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