Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
wie ein Baby. Er kreischte beglückt mit einem exotischen Laut und legte sich zurück, wobei er sich wand und drehte. Seine Metallschuppen rieben sich knirschend an ihrem stoffüberzogenen Leib. Er ermattete; er bettete sich in sie hinein wie in ein wundervoll geschwelltes Plumeau – und die folgenden Minuten waren das halbe Leben. Denn sie beugte sich nieder und zog seinen Kopf an den schwarzen Strähnen heran. Daß sie dabei seinen spiegelnden Ebenholzscheitel zerstörte, focht sie nicht an. Sie drückte ihren schmollenden Mund auf den seinen, der becherförmig geöffnet stand; er erschauerte wie im Fieber.
»Schmeckt das?« fragte sie tief. »Schmeckt das?!«
Ach. welche leichte Mühe es sie kosten würde, dieses Geschöpf einfach zu erdrücken, zu zerquetschen, auszulöschen . . . Nur so zum Spaß; nicht einmal als Kraftprobe . . . Er versuchte, sich schwer zu machen, und während er so seine Behaglichkeit fand, betrachtete sie ihn grübelnd mit leicht gekrauster Nase, und ihr Gesicht bekam wie schon oft etwas Töricht-Fragendes . . . Was war dieser Knabe, der nichts wog, eigentlich für ein Mensch? Borromeo war ein Mensch. Doch dies – Ding hier hatte Temperament, verdiente viel Geld und war eigentlich nur dazu geschaffen, von einem Schoß auf den anderen überzusiedeln, wobei man noch achtgeben mußte, daß man ihm nicht wehtat. Ah, der verdammte kleine Satan; das silberne Fragezeichen . . .
Wie oft hatte sie ihn schon dumpf bestaunt! Er hatte so ein seltsam altes Lächeln, so ein zeitloses Lächeln, das nichts bedeutete: als scheine die Sonne auf Bahnschienen. Runde Mausohren hatte er, die durchsichtig schimmerten. Eine Haut von zartem Wachsgelb. Seine Augen glichen Löchern, die alles einsogen; – wenn er sie lange anblickte, war ihr, als schlucke er sie auf. Ja, so war sein Blick – trotz hündischer Ergebenheit im letzten Ende noch kritisch: er graste jeden Fleck ihres Körpers einzeln ab, parzellenweise sozusagen. Er hatte langwimprige Lider wie weiche Bürstchen, die ihre Haut streichelten, wenn sie seinem Kopf einen kleinen Ausflug auf ihrer Brust oder zwischen ihren Schulterblättern gestattete. Seine Brauen saßen hoch und erstaunt in der niedrigen Stirn: als sei ihm plötzlich das lähmende Bewußtsein gekommen, er sei gar nicht ausschließlich nur in seinen hiesigen Rollen heimisch, sondern in anderen Riten, in anderem Klima – in den Vorstenlanden vielleicht als Tanzknabe, in der Nachbarschaft eines heißen Meeres. Fern von den Signalpfeifen der Regisseure, die er oft so fürchtete, daß er das Konfekt fast erbrach, an dem er sich seine weißen Zähne frühzeitig verdorben hatte. Fern von schattenlosen, erbarmungslosen, grell präsentierenden Kulissen.
Er sprach nasal, mit australischem Akzent auf ungeschickten deutschen Worten. Hatte er ein jahrelanges Schiffsjungenschicksal hinter sich? Oder war es nur die Rasse, die ihm so gummigliedrige Tierhaftigkeit, so phantastische Spaziergänge im Raum ermöglichte? . . .
Hier saß die Athletin Barbara mit ihrem Erdenrest von hundertundachtzig Pfund Trainiergewicht und hatte ein Rätsel auf dem Schoß, ein unbequemes Rätsel.
Es waren dem kleinen Niklas noch keine zehn Minuten restlos glücklichen Geborgenheitsgefühls beschieden, als die Tür sich plötzlich öffnete und Borromeo erschien.
Er erschien leise, dennoch klirrte alles.
Er kam mit einem breiten Lächeln, den gewichsten Schnurrbart zwirbelnd und animiert von Vorfreude, denn er gedachte bei Barbara, die er allein wußte, noch vor Beginn der Vorstellung ein Schäferminütchen zu erhaschen. Als er aber sah, daß sie Niklas auf dem Schoß hatte und sich auch gar nicht beeilte, ihre Beschäftigung seinetwegen zu unterbrechen, wuchsen die Tätowierungen auf seiner sich dehnenden Brust in einem Dschungel schwarzer Strähnen, und sein blaurasierter Kiefer schob sich vor.
Es lag Kraft in diesem Kiefer; dies war hinlänglich bekannt. All diese Symptome hätten Niklas veranlassen müssen, schlangenhaft schnell das Weite zu suchen; doch er hatte offenbar ein so sparsames Denkvermögen, daß er die Drohung nicht erfaßte.
Der Italiener kettete eine große Anzahl heiserer Worte aneinander. Es war keine Perlenschnur, die er aufreihte. Barbara machte ein gelangweiltes Gesicht und setzte Niklas mit gleichgültigem Griff neben sich auf den Boden.
»Verrenk' dir nicht deinen Kiefer, Tiberio«, sagte sie dabei. – »Du weißt, dies Bübchen ist mein Spielzeug. Du wirst doch
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