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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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es gemeinsam zuwege gebracht, daß aus ihr und ihren drei Brüdern derart prächtige Anatomiemodelle entstanden waren.
    Kurz, es war nun einmal so; und diese rollenden Muskeln, dies schier eckig federnde Gesäß, diese Schultern und dieser Thorax (auf dem die Brüste nur als bescheidene Wegweiser gedeihen durften) waren ein Kapital geworden, das sich seit einigen Jahren trefflich verzinste. Sie hatte sich in ständiger, gemeinsamer Arbeit im Format gleichsam den Brüdern angenähert, die ihrerseits mit ihr umsprangen, als sei sie ein Mann, dabei aber schwer darauf bedacht blieben, das Weib in ihr tunlichst in Zaum zu halten. Dies lag im engsten Interesse der Truppe, denn wenn Barbara es sich etwa einfallen ließe, ihren schlummernden und bisher noch überlisteten Instinkten zum Opfer zu fallen, litte alles: die Attraktion wäre verdorben. So hatte man ihr mächtig zu tun gegeben, damit sie imstande sei, die Pfeile Amors von ihren überzüchteten Gliedern abprallen zu lassen, falls es nötig sei – und zur Zeit (das wußte sie) wiegte man sich darüber in Sicherheit.
    Barbara empfand diese Tyrannei sehr stark. Zu brechen war sie nur mit Hilfe eines Beschützers, der dem Körperformat der Brüder entsprach. Dieser hatte sich gefunden in Gestalt des Italieners Borromeo. Die Stierähnlichkeit dieses Menschen war eine derartige, daß er einen Bechstein-Grand samt musizierendem Pianisten auf seinem Leibe, in Brückenform gekrümmt, zu ertragen vermochte; daß er Gewichte mit den Zähnen lüftete, deren bloße Vorstellung zermalmte. Als er eingetreten war mit dem Begehren, sich der Truppe als Fünfter anzuschließen, waren die blonden Männer weniger durch seine mündlichen Argumente beeindruckt, als durch die überzeugende Tatsache, daß er während der Verhandlung in scheinbarer Zerstreutheit ein Fünfmarkstück zwischen den Handflächen krumm bog und dann mit lächelnden Gebiß wieder plättete, – so etwa, wie jemand in Gedanken mit Kaugummi Kapriolen macht.
    Es bereitete Barbara tiefes Vergnügen, mit welcher Entschlossenheit diese südliche Erscheinung ihrem blonden Fleische huldigte; mit welch feuriger Ausschließlichkeit er ihr seit kurzem zur Verfügung stand, wobei er es mit merkwürdigem Geschick vermied, offen als ihr Liebhaber hervorzutreten. So war es trotz der Achtsamkeit, die ihr folgte, gelungen, einen Mißklang zu vermeiden . . . Ja, wo sollte es auch zu einer Katastrophe kommen? Im Notfall machte sie sich selbständig mit Borromeo; sie hatten ja beide das Zeug dazu.
    Diese Überlegungen stellte sie gewöhnlich während der nachmittäglichen Übungen an, wo es sich öfters ergab, daß sie mit den Schultern und dem Nacken ihres Verehrers in saftig klatschenden Kontakt kam; ihr Gewicht, gekuppelt mit lässiger Hingabe, vertiefte die Innigkeit solcher Augenblicke. Sie spielten miteinander wie junge Raubtiere; zuweilen setzte es Schrammen und Beulen. Aber glichen nicht auch solche Pfändern der Liebe?
    – – – Sie fuhr zusammen, denn ihre abirrenden Blicke waren im Spiegel den löcherartigen Augen des kleinen Niklas begegnet, der immer noch aus der Ecke starrte.
    »Komm mal her«, sagte sie gutmütig in ihrer tiefen Stimme.
     
    Es regte sich leise mit schürfendem Geräusch (wie wenn sich ein Schlangenweib nähert) und darauf fand er sich vollkommen lautlos bei ihr ein. Er trug Sandalen mit doppelt genähten weißen Filzsohlen. Er schillerte über und über, denn sein Körper war mit einem paillettenbenähten Trikot bezogen; blaumetallisch schillerte er. Es war eine sehr aparte Sache, die er sich ausgedacht, und erntete Anerkennung bei seinen Kollegen – obwohl sie, erdenschwere Tiere, für seine Branche sonst nur ein Grunzen übrig hatten und sich über das Geld ärgerten, das er für seine Nummer bekam. Er lieferte tolle Trapezarbeit von unwahrscheinlicher Waghalsigkeit. Er hatte entschieden etwas Unheimliches an sich, doch diese Note minderte er durch seine Jugend. Er war kaum älter als sechzehn.
    »Na, kleiner Niklas«, fuhr sie fort . . . »Was schleichst du denn schon wieder um mich herum? Soll ich dich wieder auf den Schoß nehmen, du schlüpfriger kleiner Satan? – Hallo-hup!« Und sie hielt ihm, wie einem zahmen Vogel, den gestreckten Arm hin.
    Der kleine Niklas lächelte sehr angeregt und sprang mit federndem Schwung in die Kuhle dieses mächtigen Armes, dessen Schulterteil reichlich so dick war wie sein Schenkel. Sie nahm ihn über die Sessellehne und pflanzte ihn zwischen ihre Knie

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