Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
dann wieder, unter plärrenden Tubenstößen, ins Nichts hinausgesogen.
– – Kabylen stürmten auf zottigen Gäulen herein, wanden sich abenteuerlich, geschickt wie Marder, um die Bäuche der hastenden Tiere, kletterten an Sattelgurten und Mähnenknoten umher wie an Turnböcken und warfen ihre heiseren Wüstenschreie einander zu. Hierauf erbauten sie drei schwankende, steile Pyramiden, gekrönt mit trillernden, athletischen, zottelköpfigen Knaben wie mit Apotheosen junger Kraft. Die Gebilde fielen elastisch auseinander und lösten sich in rad- und saltoschlagendes Chaos auf.
Sechs Zebras liefen leicht bockend, Wildpferdzähne bleckend, mit getigerter Keulenkraft und feinem, hartem Hufschlag um die Arena.
Durch einen anderen Eingang schritt in rötlich-schwammiger Gedunsenheit das Nilpferd Graziosa, erkletterte zaghaft eine geschmückte Tonne und drehte den walzenförmigen Leib mit ungeheurer Bemühung dort umher, als sei es der Nabel eines Rades. Es öffnete ein maßloses Maul; ein hohler Rülpston stieg hervor.
Es gab acht Elefanten; sie trieben ihr ungeheures, träges Zeitlupenwesen mit läppisch hellem Trompetenschrei. Die ganze Welt war erfüllt von den schiefergrauen Kolossen, die sich zum Schluß auf der Brüstung der Arena niederließen und sich ihrer ungeheuren Gesäße zögernd zum naturwidrigen Zweck des Sitzens bedienten . . .
Nun kam der Clou, der Pferde-Akt, und der Stallmeister Daniel Petersen zeigte sich in vollem Glanz. Sylvester, der draußen auf seine Nummer lauerte, erlebte mit schauerlich-süßem Schreck seine tägliche Liebe, die ihm, dem Jungen, schwächend in die Knie fuhr: seine gleichaltrige Freundin, seinen Kummer und sein Idol . . . Die Kunstreiterin Camilla . . .
Sylvester war schon sieben Jahre Mitglied des Zirkus Ortolani. Die Annamiten hatten längst ein anderes Engagement gefunden und waren durch eine solid arbeitende Japanertruppe ersetzt. Sylvester nahm jedoch eine Ausnahmestellung ein, die sie ihm widerwillig einräumten. Er war ein Meister in seinem Fach; ein zweiter Rastelli. Er beherrschte den Boomerang-Trick und vieles mehr. Er wurde hoch bezahlt. Und sein Beruf hätte ihn völlig befriedigt, wenn ihn nicht eines immer wieder gestört hätte: sein Haß gegen den Stallmeister Petersen. Und dieser Haß war gewachsen die Jahre hindurch und war gereift im gleichen Zeitmaß mit der Anhänglichkeit, die ihn zu Camilla trieb.
Petersen war die Seele des Etablissements, der General all der Vergewaltigung von Mensch und Tier, eine gewaltige blonde Bestie, der seine Kommandos an der drei Meter langen, schußartig krachenden Peitschenschnur in alle Windrichtungen schleuderte und bedingungslose Unterwerfung forderte. Weitgehende Vollmachten der Direktion blähten seine diamantengeschmückte Hemdbrust. Sein Frack saß prall an den Hüften; sein Hemdkragen trieb sich wie ein Brett in die violetten, von geplatzten Äderchen überzogenen Wangen; der spiegelnde Zylinder gab seinem Kopf Distinktion und Verklärung; und auf seiner becherförmig gewölbten Lippe saß ein Schnurrbart von der Konsistenz einer Zahnbürste, gesträubt und hart. – Kurz, er war ein ansehnliches Exemplar eines Stallmeisters und ganz das, was man sich unter einem solchen gewohnheitsmäßig vorstellt. Der feinere Unterschied zwischen ihm und anderen Herrschern seiner Branche betraf jedoch das Seelische – insofern, als es nach allgemeinem Dafürhalten schlechterdings fehlte. Er war nicht tückisch, er war nicht gefällig – er handelte lediglich nach Zweckdienlichkeiten und füllte deshalb seinen Platz prachtvoll aus, assistiert von einem rothaarigen Pferdebesorger, Leibdiener und Sklaven, der auf den Namen Zorro hörte.
Was nun Camilla betraf, so hatte er dies schmächtige Waisenkind, das ihm aus einer polizeilich aufgelösten Artistengruppe zugelaufen kam, frühzeitig adoptiert mit der mürrischen Kalkulation, dieser biegsame und hübsche Körper könne Möglichkeiten enthalten, die sich verzinsen ließen. Die Adoption verlieh ihm Besitzrechte, und er ließ es sich angelegen sein, diese mit seiner Dreimeterpeitsche auszuschlachten und aus dem erschrockenen Kind alle Gewandtheit herauszukitzeln, die herauszuholen war – auf dem Wege der Hohen Schule.
Camilla war jetzt siebzehn, also so alt wie Sylvester, durchaus ein Geschöpf ihres gütigen Ziehvaters, mit einer verprügelten, sanften Seele und mit einer Hornhaut an Waden und Schenkeln. Seit sie die Hölle durchgemacht, – die er mit dem
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