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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Hemmungsquellen in der zarten Maschine; faßten so tief in das Uhrwerk, daß er sie blutbedeckt hervorziehen mußte . . . das wußte der kleine Albert nicht, aber er wußte, daß Papa sehr zu tun hatte und daß es darum nötig war, daß man bei ihm stand und nicht ungeduldig wurde oder davonrannte, wenn man die warme Hand um den Kopf spürte.
    Dann kam das Mittagessen mit den Eltern. Man aß zwei Gänge, Suppe und Fleisch, und der Vater trank eine halbe Flasche Mosel dazu. Seine mühsame Stimme, die dennoch nie versagte, hielt ein stetes fließendes Gespräch mit der Mutter in Gang, die sich gewaltsam zusammennahm und immer munter war, um den Mann, den sie fast nur um diese Tagesstunde sah, mit kleinen Erzählungen aufzuheitern und ihm von Besuchen zu berichten. Der Vater fragte kurz und bestimmt nach Alberts Schulerfolgen; doch begnügte er sich mit wenigen Antworten, da er überzeugt schien, daß sich alle Entwicklung in dem Knaben folgerichtig und ohne frappante Sprünge vollziehe. Und Albert selbst hatte die Empfindung, daß Papa eine gleichmäßig warme Meinung von ihm hege; und demnach erfreute er sich einer possierlich selbständigen Würde, jederzeit bereit, sich ihrer um einen Kuß der Mutter in der kindlichsten Weise zu begeben.
    War das Essen zu Ende, so folgte die Siestastunde. Der Vater trank schwarzen Kaffee, der fertig auf dem orientalischen Tischchen neben der niedrigen Ottomane stand. Die Mutter entschwand in ihr Schlafzimmer im ersten Stock, um, wenn es ihr von jedem Essen übermäßig erregtes Herz gestattete, vorübergehenden Schlummer zu suchen. Albert selbst hielt sich ein wenig in der Veranda auf, und dann ging er leise in das Entreeräumchen, das zum Arbeitszimmer seines Vaters führte, und setzte sich auf den Teppich, um in seinem Cooper zu lesen und zwischendurch die Wunden an seinen Beinen zu betrachten.
    Er prüfte die kleine blutunterlaufene Stelle unterhalb des rechten Knies und bedauerte sie, da er es liebte, eine glatte, reine Haut zu haben. Ja, er trug Fürsorge für seine ganze Person; er besaß eine verstohlene animalische Eitelkeit, eine kleine lächerliche Andacht zu sich selbst. Deshalb empfand er ein Verantwortlichkeitsgefühl für sein mißhandeltes Knie und freute sich seiner weißen Beine auf dem dunklen Blumenprunk des Teppichs.
    Darauf warf er sich auf den Bauch und las mit gerunzelter Stirn von Fährnissen und verzweifelten Situationen, in die ein rechtlich denkender Mann geraten kann, obwohl er ein meisterhafter Schütze ist. Die Daumenballen beider Hände gegen die Wangen gepreßt, so daß seine gewellten Lippen sich zu einem seelenlosen Ausdruck spalteten, verfolgte er die Zeilenkolonnen. Ein fremdes Panorama rückte näher, schloß sich um ihn. Er selbst trat aus sich heraus und schlüpfte in das Kostüm des blondbärtigen Helden, und der Autor des Buches redete mit Engelszungen aus seiner eigenen Seele heraus, beschwor zwei verängstigte Weiber, tat Aufblicke zu Gott und riß das Lederwams vor der Brust entzwei, um sie den Pfeilen bloßzulegen. Albert stöhnte tief und behaglich. Nun kam der erste Pfeil und heftete sich, leicht mit dem Federwirbel zitternd, dicht über der Schulter in die Baumrinde ein, und etwas erschrockenes Blut kam heraus und tropfte, tropfte . . .
    Ach, das tat weh. Die Sensation durchzuckte den Knaben; seine Augen sahen geradeaus in das flammende Blau der Jalousienritzen, und ein leichter Druck, durch seine Lage in der Herzgrube hervorgerufen, wirkte strahlenförmig in ihm weiter und rief jene Beklemmung hervor, die aus Sehnsucht und Glück gemischt ist. Er sank mit dem Gesicht auf die kühlen Blätter und lag regungslos.
    Die Gestalten seiner Schullehrer, die sich zu seinem Ärger immer in sein eigenes Urteil hineindrängten, zottige, barbarische, unrein duftende Gesellen, rotteten sich am Horizont zusammen und taten im Chorgesang (-gekrächz, dachte der kleine Albert mit trägem Grimm) mißliebige Äußerungen, die sich auf die traumhaften Geschehnisse bezogen. Sie entkleideten die hübschen Vorgänge ihrer Farbigkeit; ja, sie zupften sogar an der Persönlichkeit des blonden Helden und erstickten seine wonnigen Märtyrerbetrachtungen mit ungeeigneten Fragen nach seinem bürgerlichen Beruf und seinen Kenntnissen in Dingen, die, in Anbetracht der Romantik, keineswegs am Platze waren.
    Doch man wurde ihrer Herr. Man grub das Beil aus und brachte sie einzeln um. Sie hätten ja ohnehin nicht viel ausgerichtet, denn – hier erinnerte sich der

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