Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Krankenschwester mit rotem, rundem, gutmütigem Gesicht und kleinen harten Fingern. Sie erinnerte den Knaben an die Bonne Babette, die ihn – vor längst vergangener, aber immer noch lebendiger Zeit – in einem Wägelchen über die Kieswege gestoßen und ihre einlullenden Zaubersilben dazu gesungen hatte, als er in seiner Milchbenommenheit ins Blaue entschwebte. Diese glanzumflossene Masse von steifer Leinwand, aus der zwei runde braune Augen hervorträumten, stellte sich nun wiederum in seinem Leben ein, ähnlich kostümiert, doch mit einem finsteren und gefährlichen Dienst betraut. Wenn sie auftrat – so leise sie konnte –, dann zitterten die Treppenstufen; sie ging auf den Fußspitzen, und doch brach sie sich Bahn. Der kleine Albert fühlte eine verschmitzte Überlegenheit über sie, und oft wandelte ihn der Drang an, zu lachen, wenn sie das Thermometer fallen ließ und eine mühsame Kurve beschrieb, um es aufzuheben. »Du könntest dich auch bücken«, sagte sie. »Ich bin eine ältere Frau.« Und Albert bückte sich, doch mit Absicht zu spät; und das tat er nicht dieser fetten Frau zuliebe, die vor Gesundheit rostrot war, sondern Mamas wegen, denn das Thermometer war eine Notwendigkeit, das sah er ein. Hinterher lachte er, weil es ihm Vergnügen machte, wie die dicke Schwester sich bemühen mußte.
Noch öfters aber weinte er sein tränenloses Weinen, wenn er von einem Besuch bei der bleichen, zarten Mutter kam; verkroch sich ins Gebüsch, lief lang und weit vor die Stadt, zwischen die Felder und in die Heide. Dann kam er abends erhitzt zurück und nahm ein paar Löffel Suppe mit Papa zusammen ein, an dessen Anblick er wenig Freude verspürte.
Denn die Kräfte des Mannes waren an dem Punkt, überspannt zu werden. Die Ringe unter seinen Augen traten plastisch hervor; ein roter Rand lief um die Lider. Seit einer Woche schon war man gerüstet, auf einen Monat an die See oder ins Gebirge zu gehen; und nun war Mama wieder kränker geworden. Alles mußte beim alten bleiben. Der Vater trank Abend für Abend schweren Bordeaux und rauchte Importen. Das konnte zu nichts Gutem führen, denn während oder nach einem solchen Genuß waren seine Augen zuweilen beinahe apoplektisch starr und blicklos, so als drücke eine Zentnerlast auf seine großen ermüdeten Hände. – Er duldete, daß der Knabe in seiner Nähe war, doch eine Antwort zu erhalten war für Albert nicht leicht. Ja, jetzt geschah es auch, daß er ihn barsch anfuhr, ihn unsanft beiseiteschob, kurz angebunden und ohne Verständnis für eine wohlgesetzte, grübelnd geprüfte und langer Hand schweigsam vorbereitete Frage, die der Knabe mit hoher Stimme an ihn zu richten wagte.
Ach, was war das! Das war so ungewohnt! Albert stand am Bücherständer mit dem Rücken gegen den Brehm gelehnt und hatte seine Fragen an Papa wie immer, und Papa war nicht einmal beschäftigt, nein, er rauchte bloß und räusperte sich, und da war es doch wahrhaftig nichts Ungehöriges, wenn er ein Gespräch in Gang zu bringen sich bemühte! Und um Mama sorgten sie sich doch beide, das war ein gemeinsamer Schmerz, und wenn der Vater ächzte, so fand es einen stummen Widerhall in Alberts Seele. Dann ächzte er auch, gehorsam gleichsam, erschöpfend und mit Sorgfalt, es war aufrichtige Betrübnis darin, und doch drehte der Vater sich mühsam um und sagte: »Albert, kannst du nicht stille sein«, oder: »Du störst mich, beschäftige dich.« – – Das war unerhört. Albert hatte nie die Verpflichtung gehabt, sich abends zu »beschäftigen«. Und wenn er sich mit der Schulter an den sitzenden Vater lehnte, so dauerte es nicht lange, denn der Vater schüttelte ihn ab und meinte dabei: »Schon gut, Albert. Aber du wirfst mir mein Glas um.« – Nie, so streng er sich besann, hatte er je etwas umgeworfen, am allerletzten vollends ein Glas, aus dem Papa sich in schwerer Zeit erquickte.
Deshalb wuchs eine Indignation in dem Knaben, die sich täglich neue Nahrung holte; er wurde scheu und vermied es, mit dem Vater außer zur Essenszeit zusammenzutreffen. Desto häufiger war er am Krankenbett der Mutter zu finden, las ihr vor oder führte inhaltlose Gespräche, die doch wie warme Sympathiewellen von ihm zu ihr glitten und sie überschütteten; und sie sah mit tiefer Dankbarkeit an den Fransen ihrer seidenen Decke vorbei auf seinen blonden Kopf, den er oft, behutsam und liebevoll zu ihr hinüberblickend, im Affekt eines gesteigerten Gefühls, das plötzlich in ihm aufschwoll, erhob. Auch
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