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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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kleine Albert – man war ja zu Hause, und hinter den Portieren an dem breiten eichenen Schreibtisch saß Papa und schrieb Rezepte. Man konnte das leise Kratzen seiner Feder hören, er würde es den Oberlehrern schon geben, wenn sie seinem Sohn und Schutzbefohlenen, seinem Bundesgenossen und Liebling zu nahe auf den Leib rückten.
    Denn Papa hatte nicht allzulange auf der Ottomane gelegen; er hatte aufstehen müssen. Es war sicher ein schwieriger Fall, vielleicht ein überseeischer Patient, der sich zur Konsultation angemeldet hatte, und um drei Uhr mußte Papa wieder in der Klinik sein. Albert dachte nach. Diese Stunde war die schönste des Tages. Tief in einen Traum verstrickt schien das ganze Haus. Die Uhr im Eßzimmer tat ihre leisen, vergrabenen Schläge. Traumhaft fern klang das einlullende Geklapper des Geschirres aus der Küche. Eine Fliege summte, und ab und zu räusperte sich der Vater. Er räusperte sich schwer und keuchend, während das Papier unter seinen Händen knisterte. Der Dunst seiner starken Manila, bläulich und durchsichtig, durchtränkte alle Dinge mit einschläferndem Geruch. Dieser Geruch hatte etwas Tropisches, Schweres, Reiches. Er war unzertrennbar von dem Entreeräumchen, von den hohen Bücherschränken, den massiven, plumpen und vertraulichen Eichenmöbeln und dem mattgoldenen Buddha, dessen leere, strenge Augen aus einer unfaßbaren, fabelhaften Fremde blickten.
    So verrann die Zeit.
    Dann kam der Vater zwischen den Portieren heraus, das Kautschukhörrohr in der Westentasche, und schritt mit schwerem, wuchtigem Schritt über das Söhnchen hinweg, das ihm den Weg verlegte und sich, in zärtlichem Respekt, halb vom Teppich erhob. Albert brauchte nicht aufzustehen, doch auf dem breiten Rücken des Vaters, hinter dem sich die Tür schloß, stand unsichtbar geschrieben: in einigen Minuten mußt du oben sitzen bei Algebra und Latein.
     
    Nun war es Juli, und die Sonne, die schon vierzehn Tage lang unbehindert waltete, erzeugte eine Treibhausluft. Der Fluß, der nach einem Wolkenbruch, wie sie sich im Mai schon einstellen, tagelang träge, lehmbraune Massen dahingeschleppt hatte, verwandelte seine Farbe in ein stumpfes Grün, in dem die silbernen Leiber wandernder Weißfische blitzten, die am Abend, wenn die Mücken tanzten, viele kleine Kaskaden in die Höhe warfen.
    Albert, dessen Ferienzeit begonnen hatte, liebte es, sich unter der Blutbuche zu entkleiden und auf dem kurzen Ufersand zu sitzen, versteckt von Flußampfer und Fenchel. War sein Körper von seinem Schweiß bedeckt und lockte die lautlosen braunen Stechfliegen an mit ihren dummen, bronzegrünen Augen, dann wälzte er sich ins Wasser, in den muschelgespickten Schlamm, und ließ sich auf dem Rücken treiben hinein in die kältere Strömung der Mitte. – – Er liebte es, langsam mit den Knien rudernd, dem Druck des Wassers mit den Handflächen fächelnd zu begegnen und die reglosen Wolkenbänke zu betrachten, die flimmernd schlohweiß mit bleigrauen Schatten am Horizonte lagerten und deren reglose Spiegelung der Fluß matt verzerrte.
    Und abends war es am schönsten, wenn die Amseln ihre verirrten Tonfolgen zu einem Netz von Flötentönen zusammenfügten aus dem Baum- und Gebüscheschatten der Ufer heraus, wo die Villen leuchteten. Das jauchzende Geschrei der drei schwarzhaarigen Mädchen von drüben, wo der Börsenmann wohnte, ärgerte den kleinen Albert. Er pflegte alsdann zu pfeifen, unablässig und leise, eine stereotype Klage um etwas, das er nicht kannte.
    Und in den Nächten war es einsam – irgendeine phantastische Irrfahrt nahm von seiner unruhig atmenden Brust Besitz. Fuhr er auf, dann schlug das über die Stuhllehne geworfene Hemd mit beiden Ärmeln nach ihm und erpreßte ihm einen schwachen Schrei, bis er sich besänftigte und den Vater in der Ferne hinter zwei offenen Türen schwer durch die Nase atmen hörte . . . Die Nächte waren voll feuchter Dünste, der Fluß schickte einen lähmenden Hauch herein, einen warmen pflanzlichen Verwesungsgeruch; und die Grillen feilten, als gelte es ihr Leben.
    Und siehe da – eines Tages kam die Mutter nicht mehr zu Tisch. Sie lag, schwächer als sonst, in den Kissen, von zuckenden Schmerzen geplagt; ähnlich denen, die sie vor dreizehn Jahren bei Alberts Geburt erleiden mußte, heftigen Krämpfen, so daß sie ratlos wimmerte und der Knabe vor Hilfsbereitschaft hinter der oft verschlossenen Tür nicht aus noch ein wußte.
    Pflegepersonal erschien; auch eine dicke

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