Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
gegeben und ihm streng befohlen, den Affen anzuhängen. Doch Albert traute sich zu, den kleinen Vetter aus der Nebenlinie allein durch Liebenswürdigkeit zu fesseln, so daß es der Vetter nicht nötig hatte, immer nur »k–ch, k–ch« zu sagen und sorgenvoll und wütend auszusehen.
Dies schien ihm denn auch zu gelingen, denn, die kleinen schwarznägeligen Hände über dem zerscheuerten Bauch gekreuzt, begann der Affe zu entschlafen. Mitunter regte sich seine Hand noch, irgendwohin, wo es weh tat oder juckte, blieb dort liegen, sank herab. Nun schläft er – dachte Albert zärtlich. – Von dem Italiener will ich Mama nichts erzählen, aber von meinem Affen. Das wird ihr Vergnügen machen. – Und leise auftretend, stahl er sich hinweg. Die Leine wollte er auf dem Rückweg holen. Als er ums Haus bog, hörte er ein rauhes Gebell und sah einen großen Neufundländer hinter sich in den Garten brechen.
Fassungslos lief er zurück: der sanfte Schlaf der Kreatur war jäh unterbrochen worden. Jedenfalls war sie nicht mehr da, und der Neufundländer hatte das Nachsehen. Der kleine Albert war in Verzweiflung. Er suchte den halben Garten ab, umsonst. Und während er noch suchte, vollzog sich etwas Beklagenswertes.
Denn die Mutter, die friedevoll, in das Gefühl einer leisen Besserung gebettet, in ihren weißen Kissen lag, erblickte urplötzlich im Zimmer in der alltäglichsten Nachmittagsbeleuchtung eine kleine groteske Grimasse, die aus dem Wandspiegel glotzte; und dieser scheußliche Witz des Zufalls ließ sie mit einem heiseren Schrei zusammenfahren, warf sie empor, so gewaltsam, daß etwas in ihr zersprang und ihr Puls allmächtig zu rumoren und zu sausen begann, als führe sie steil in einen Schacht voll kreischender Flammen. Die kleine Grimasse, die aussah, als sei sie unvollendet aus einem Schoß gerissen worden, so in aschgrauem Schmerz verzogen, empört und rührend zugleich – war verschwunden, der Spiegel war leer; die Mahagonimöbel waren wie sonst, nur begannen sie jetzt leise, aber unaufhaltsam nach links zu rücken wie ein Karussell um einen Mittelpunkt, eine Spieluhr: den Schmerz, die bohrenden Stiche in ihrem Leibe, die wieder erwacht waren. Der hereinwuchtenden dicken Krankenschwester sagte sie noch etwas Unglaubliches über ein Gespenst, – – und dann fiel sie zurück und war bewußtlos.
Dies geschah, während der kleine Albert noch im Garten suchte, und es klärte sich auch auf, warum Mama einen Anfall hatte, schlimmer als sonst, und Papa wurde aus der Klinik geholt und ordnete allerlei an. Dann ließ er den Sohn rufen.
Er saß in seinem Lehnstuhl, als Albert eintrat, hatte einen großen Bambusstock über den Knien und sagte:
»Schließe die Tür.« –
Sehr befremdet und doch neugierig tat es Albert. Es mußte eine wichtige Unterredung sein, die Papa mit ihm führen wollte; die durfte niemand hören. Dann mußte er in Papas Nähe kommen und sah, wie der fahlblonde Schnurrbart über den bleigrauen Wangen heftig zitterte. Papa sagte noch: »Dein Ungehorsam, lieber Albert, hat schlimme Folgen gehabt, schlimmer, als du ermessen kannst!« – Und der gequälte Mann, dessen starker Körper den tausend kleinen Widrigkeiten, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, kaum noch gewachsen war, warf sich aufrecht in den Stuhl und tat, was seine überreizten Nerven ihn hießen: Er ergriff den Knaben beim Kopf mit einem unnötig brutalen Griff, klemmte seine Beine zwischen die Knie und ließ den harten Stock sechs-, siebenmal auf den dünnen Leinenhosen tanzen, einmal auch auf dem Rücken, der sich zuckend bewegte. Dann beherrschte er sich, schob den kleinen Albert von sich und sagte: »Geh.« – Albert ging. Sein heller, weicher Blick war sehr trüb und starr; sein Kreuz schmerzte stark. Es war das erstemal, das allererstemal, daß man ihn prügelte. Nicht einmal einen Backenstreich hatte man ihm bisher gegeben. Seine ganze so kunstvoll aufrechterhaltene Selbstherrlichkeit war dahin. Und wenn er an die roten Striemen dachte, die sich brennend auf seine zarte Haut, auf seinen Leib, dem er so zugetan war, gelagert hatten, so zog ihm dies die Brust zusammen, so konnte er kaum atmen, beleidigt, fassungslos verzweifelt wie er war. Noch in der Tür drehte er sich um und sah am Kopf des Vaters vorbei mit einem schnell hervorgestoßenen Zischlaut und einem Blick, in dem sich Widerstand und Groll wie in einer Brennlinse sammelten. Dann schlich er wie ein waidwundes Wild in den Garten, verkroch sich und
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