Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
galanten Herzensära entstieg dem Alter, das wie entstellender Nebel verrauchte. Ihre zärtlichen Repliken, den sich häufenden Werbungen Pierrots gegenüber, wurden träumerisch und treffsicher . . . bis zu einem Grade zielbewußt, daß sie sich plötzlich – schon halb entblättert – erhob und zierlich pustend die Kerzen löschte, die zu einem Drittel geschmolzen waren. Zu dieser verheißenden Tätigkeit schlug Pierrot leise Rondotakte, und Désirée konnte gerade noch erkennen, wie sein Rosettenschuh zephirgleich über das Parkett strich. Dann fraß die Dunkelheit alles beim Erlöschen der letzten Kerze, und der Rondotakt endete in einem kleinen raschelnden Mißton . . .
Müssen wir die Verfassung schildern, in der Désirée in ihrem Versteck diese Nacht verbrachte nach dem Sonntag Estomihi? Man erspare es uns. – Nur andeutungsweise wollen wir verraten, daß Glut mit Frost wechselte, und ihr Appetit auf die von Gismonde hereingeschmuggelten Mahlzeiten sehr zu wünschen übrigließ . . .
In der folgenden Nacht finden wir sie wieder auf ihrem Lauscherposten. Diesmal war die Tante – strafe sie Gott – mindestens um zehn weitere Jahr verjüngt. Auch hatte sie ihr Kostüm geändert, dem Schwund der Behäbigkeit, der siegreich sich vordrängenden Schlankheit, feinfühlig angepaßt; es war pfauenblau und von verschollener Mode. Pierrot schien seinerseits wesentlich aktiver; der Zustand des puppenhaft Schlaffen schien gänzlich überwunden. Man widmete sich diesmal dem Champagner und legte eine Bresche in die stattliche Batterie – ein Umstand, der durchaus geeignet war, in Pierrots Benehmen eine stürmischere Note zu züchten. Hätte die Tante (konnte man sie denn mit Fug noch so nennen?) das haßerfüllte Auge am Schlüsselloch gespürt – sie wäre zusammengezuckt wie bei einem Dolchstich. So aber wurde für das hübsche ausgeschloss'ne Kind wieder nichts aus dieser Nacht, als eine beklemmende und fruchtlos erregende Affaire . . . Wir müssen sie, so leid sie uns tut, wieder ungetröstet ins Bett schicken in dem Augenblick, als drinnen die Kerzen zu zwei Dritteln verbrannt sind. – Doch hatte diese neue Enttäuschung zur Folge, daß in der geplagten Désirée ein großer Entschluß zur Reife kam.
Blaß und angespannt, doch von unumstößlicher Absicht beseelt, fand sie sich in der dritten Nacht vor der Türe ein. Was sie aber nun gewahrte, setzte sie so in Erstaunen, daß es ihr fast den Atem verschlug. Denn dort auf dem Sofa saß eine Person, die auch nicht im geringsten mehr an ihr früheres mürbes Stadium gemahnte: eine Schäferin im Stile des Watteau, ein junges keckes Ding; auf dem Kopf trug sie, zu herabpendelnden gedrehten Locken, einen breitrandigen Strohhut, dessen Atlasbänder bis zur Hüfte wallten.
Es war nicht wegzudisputieren, daß diese Person mit ihr selbst, mit Désirée, eine vertrackte Ähnlichkeit aufwies. Dies kam noch deutlicher zutage, als sie sich zufällig in der Richtung der Tür bewegte und ihr Gesicht in das Blickfeld geriet – es kam Désirée genau so vor, als blicke sie in einen Spiegel. Es waren nicht bloß ihre Züge: das waren ihre eigenen Schultern, ihre eigenen jungen Brüste mit den zierlichen blaßroten Knospen, die dort zitterten und vom Kerzenlicht vergoldet wurden! Ihre eigene mattweiße Haut war's, auf der jener seidige Glanz ruhte, die sich der Umarmung des Geliebten bald näherte, bald spöttisch entzog . . .
Und nun war er da, der heroische Augenblick.
Außer sich vor Eifersucht, Haß und Sehnsucht warf Désirée sich mit der Schulter gegen die Tür. Das Zierschloß krachte auf, und so gelangte sie in kniender Haltung ins Zimmer. Die Rivalin tat einen spitzen Schrei und wich zurück. Doch Désirée erhob sich, etwas stolpernd (sie trat auf die Säume ihres mächtigen, gebauschten Rockes) und stellte sich ihr, keuchend vor Aufregung und erhitzt gegenüber. Es fiel ihr schwer, unter diesen Umständen die Form zu wahren, doch immerhin brachte sie leidlich fließend hervor: »Verzeihn Sie, liebe Tante. Ich bin ein wenig früher, als ich plante, aus der Stadt zurückgekehrt . . . Diese Art meines Erscheinens mag befremden . . . Ich gebe es zu . . .«
»Ah! – Sie geben es zu!« flüsterte die Tante. »Sehr gütig von Ihnen! – Und ich soll Sie entschuldigen! Was richten Sie an! Sie wissen es selbst nicht!« Ihre Lippen waren blutlos. »Sie spionieren! Dies ist mehr als in diskret! Dies ist Libertinage . . . ist Raub! «
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