Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Glanzlicht, ein huschendes Leben wie ein neues Seelchen, das aus den Resten des alten hüpfte; und die Äderchen der schweren, listigen Lider schimmerten blutdurchpulst.
    Und Désirée, mit klaräugigem Instinkt, spürte sofort, daß die Tante Pläne hege.
    Darum bereute sie ihren Gehorsam, denn, wie sie sich blitzschnell überlegte, hier gab es eine Sensation, die die Tante zu verhehlen sich mühte. Doch war Désirée Weib genug, sich diese Wissenschaft nicht anmerken zu lassen, und beschloß, im stillen hinter die Sache zu kommen. Sie ließ daher ihre Koffer packen und raffte ihren ganzen Aufwand an Batist und Seide für eine Reise in die Stadt zusammen. Währenddessen zog sie Erkundigungen ein und erfuhr, wie es sich mit dem bewußten Zimmer verhielt. Dies Geheimnis genügte vollauf, um ihre Neugier bis zu einem brennenden Grade wachzurufen. So kaufte sie sich die Mithilfe des Bedientenpärchens und reiste mit einigem Lärm am Samstagnachmittag ab. Ihre Abschiedsliebkosungen waren echt: sie küßte mit Selbstverleugnung in die puderdurchstäubten Tälchen des welken Gesichts hinein, wobei ihr eines jener gummierten Silhouettchen an den roten Lippen haften blieb; sie zerriß die Tante fast an der Stelle, wo sie sich zwischen den schillernden, stufenweise gerafften Deckflächen der Taille wespenhaft verjüngte. Sie veranlaßte das gesetzte Alter zu unwürdiger Hast und hochgespannter Heuchelei; und endlich fuhr sie ab. Das polternde Gefährt entschwand durch den Toreingang, und die Gräfin Ponquille schlürfte das langersehnte Geräusch der entrollenden Räder mit vorgeneigtem Kopf.
    In der Nacht, als alles still war und nur der fast gefüllte Mond wachte, kam Désirée zurück und wurde durch eine kleine Pforte in der Parkmauer durch Baptiste eingelassen. Den Wagen mit ihren Effekten hatte sie dem biederen und gutbewaffneten Kutscher zur Weiterbeförderung in ein bekanntes Gasthaus der Stadt anvertraut; nur das Nötigste trug sie bei sich. Sie schlich sich nun mit Hilfe eines ungefügen eingeölten Schlüssels in den Seitentrakt hinein und versteckte sich in dem Zimmer, das an das rätselhafte Gemach anstieß und voll verbrauchter Möbel, zerschlissener Roben und bröckelnder Familienbilder war. Ihr Herz klopfte; sie wartete, die Uhr in der Hand. – Endlich war es soweit. Ein fernes, verworrenes Klingen wob die Dauer einer Viertelminute durch die Flucht der leeren Säle . . . das waren die vielen Prunkuhren, die sich im Schlosse rührten. Ein rhythmisches Rascheln ward hörbar: die Tante kam den Gang herab. Jetzt kreischte die Klinke nebenan ganz leise, und ein Riegel schob sich vor. Das Mädchen, mit stürmisch bewegter Brust, stahl sich in den Gang und sah einen fadendünnen Strahl, der durch das Schlüsselloch fiel. Knieschwach vor Erwartungsfieber beugte sie sich und preßte – (mit gebührender Rücksicht auf ihr Toupet) – das Auge an das Loch.
    Die Tante beschäftigte sich damit, einen Kandelaber, auf dem ein kleiner Hain schlanker Kerzen angebracht war, zu entzünden; und soeben beendete sie ihr Werk. Eine festliche Flut goldenen Lichtes erfüllte den Raum. Die Tante ging nun, nach musternden Blicken über den reizend gedeckten Tisch, zu der goldenen Truhe: mit seltsam trippelnden Schritten, wie das Kammermädchen einer
Opera buffa
. Vor der Truhe stehend, klopfte sie mit spitzem Knöchel an den Deckel. Nun ächzte es wieder darin – und Baptiste hatte recht, es klang wie Gähnen . Der Deckel tat sich auf, langsam und ruckweise, als werde er von einem plötzlich darin erwachenden Odem emporgeblasen und in Schwebe gehalten. Nun gähnte es noch einmal, mit einem schnappenden Abschlußlaut, und die Tante griff in die Kiste hinein und zog. Sie zog mit aller Kraft; die Nähte ihrer Ärmel krachten.
    Désirée sah eine verschwenderische Masse von weißem, etwas vergilbtem Seidenstoff, der in weiten Falten aus der Truhe quoll. Dazwischen wogte eine Kette aufgeplusterter strotzender Pompons von der Farbe knospender Veilchen; und wo die Hand der Gräfin hineingegriffen hatte, erschien eine in mehreren Lagen aufblätternde Krause von derselben violetten Farbe. Aus ihr wuchs ein langer Hals hervor, der scheinbar wirbellos umherglitt, beschwert von einem kalkweißen Kopf mit tiefschwarzem Käppchen. Die Gräfin ergriff diesen Kopf am Hals, wie man etwa einen jungen Hund vom Boden nimmt, und zerrte eine schlaffe Puppe von Menschengröße aus der Truhe hervor, deren kurze spitzschnäblige Schuhe mit großen

Weitere Kostenlose Bücher