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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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verhelfe, darüber tappte man völlig im Dunkeln. –
    Es geschah nun um die Zeit, als die Gräfin sich wiederum rüstete, sich zu ihrem bewußten
tête-à-tête
zurückzuziehen, daß ihre siebzehnjährige Nichte Désirée mit vielen Koffern und auch sonst einigem Aufwand einen Besuch bei ihr machte. Diese Dame, wie es einer Doppelwaise ziemt, hatte bisher ihre Jugend unter der wohlwollenden Kontrolle eines alten bürgerlichen Ehepärchens auf einem Landgute verlebt, und drei Jahre gleichmäßig dahinplätschernder Langeweile, verbunden mit unaufhaltsam reifender Weiblichkeit, hatten eine Spannung in ihr erzeugt, die sich in Ermangelung richtigen Echos in allerlei ländlichen Liebhabereien entlud. So frönte sie der Jagd und vergab sich sogar einiges in Gesellschaft eines gefallsüchtigen Hirtenknaben, der durchaus, was Herkunft betraf, aus ihrer Sphäre fiel. Erschrocken über dies plötzlich erwachende, kaum standesgemäße demokratische Interesse, gab das ergreiste Pärchen ihr flugs den Reisesegen, und die Diana hatte sich unverzüglich auf den Weg zu ihrer fast vergessenen Tante gemacht. Ins Ohr gesagt: sie hoffte auf eine glänzende und rauschende Zeit, auf alles, was sie nicht kannte; und vor allem hoffte sie, sie könne sich in den Besitz eines Kavaliers setzen, jenes hiebfesten, herrlichen Mannes mit funkelnder Schoßweste, der in ihren Mädchenträumen die Hauptrolle spielte.
    Hätte der selige Prinz Viktor aus dem Kreise seiner erlauchten Ahnen herniedergespäht, er würde zweifellos die rotwangige Frische des Kindes entzückend gefunden haben: im Gegensatz zu der Gräfin Ponquille, deren irdische Beschaulichkeit empfindlich gestört war.
    Denn ihr kam dieser Besuch aus verschiedenen Gründen ungelegen. Der Februar war schon da, wo sie gern ungestört blieb. Dann mißfiel ihr die junge Dame aufrichtig. Die fröhliche Jugend, die sich bei ihr einnisten wollte, machte sie etwas unsicher und neidisch. So traf Désirée auf steife Höflichkeit; doch da sie eine humorbegabte Seele war, machte sie sich nichts daraus. Sie übersah den Schreck auf dem Gesicht der Greisin, wenn sie ihren kräftigen Arm im Bedürfnis, nett zu sein, um deren wespenhafte Taille rankte.
    Was Wunder also, wenn die Gräfin, in die Enge getrieben, nichts sehnlicher wünschte, als sich von ihr in kürzester Zeit befreit zu sehen. In ihrem Wunsch bestärkte sie auch die plump zufahrende Art, mit der Désirée in ihrer ereignisreichen Vergangenheit umherforschte, gleichsam, als schlage sie sich auf eigene Faust durch ein Heckenlabyrinth. Jede Andeutung, die sie aus der verdrießlichen Alten herauslockte, versetzte ihr Blut in Wallung und entlockte ihr ungehobelte Schreie des Entzückens, fast noch, bevor sie den Angelpunkt solcher Angelegenheiten erfaßte. Sie bestaunte in der Tante eine Fundgrube des Wissenswerten; und diese, einer anderen Wirkung ihrer Person gewärtig, war schlecht damit zufrieden. Durch kleine mannigfache Auffrischungen, die sie mit so unendlicher Vorsicht gebrauchte – (etwa durch filigranfein geschnittene Silhouettchen auf der gelben Haut ihrer schlaffen Wangen, oder durch ihren von sehr hohen Absätzen beeinflußten Schaukelgang), erregte sie, statt des Nachahmungstriebes, nur die Lachlust des manierenlosen Mädchens.
    Darum sagte die Gräfin Ponquille eines Morgens – es war am Freitag vor ihrem alljährlichen dreitägigen Verschwinden –: »Mein Kind, ich glaube, es wird eine Erleichterung für Sie sein, wenn Sie die kommende Zeit in der Stadt verbringen. Unser Name wird Ihnen die Türen öffnen; was sage ich, sprengen! – und Sie werden sich amüsieren. Was suchen Sie bei einer alten Frau, die sich an den Krücken ihrer Erinnerungen ins Grab schleppt . . . Ich liebe Sie; doch Sie erweisen mir einen Gefallen, wenn Sie sich zerstreuen. Ich werde Sie später gern in die Arme schließen; doch mein Temperament ist nicht mehr lebhaft genug, um mit dem Ihren in dieser Jahreszeit in Wettstreit zu treten!«
    Désirée verstand. Sie war gern bereit, wegzufahren. Die Alte spitzte die Lippen und gab ihr einen Kuß; er war kalt, dieser Kuß; es war etwas Schales, Flaues in ihm; und doch war Désirée erstaunt, ihn überhaupt zu erhalten. Sie erwiderte ihn, und dabei nahm sie eine sonderbare, gleichsam morgenrötliche Färbung, ein vergnügliches und nicht geheimzuhaltendes Rosa auf den Wangenknochen der Tante wahr. Und Désirée sah noch eins: die Augen der Dame, die sonst wie verblichen schienen, hatten ein

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