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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Rosetten das Parkett des Zimmers berührten. Kaum war dies der Fall, als die Gestalt gleich dem antiken Antäus zu zucken begann, als eine eilige Spannkraft ihr hochschoß und sie taumelnd stehenblieb. Das Gesicht drehte sich blinzelnd dem Kerzenlicht zu. Es durchfuhr Désirée wie ein Schlag.
    Das war Liebe auf den ersten Blick; sie erbebte. – Der Held ihrer bisherigen Träume, der hiebfeste Herr mit der funkelnden Schoßweste, sank im Verein mit jenem Hirtenknaben (der sich in letzter, gewagtester Koketterie um sie mühte) schmerzlichen Scheideblickes ins Wesenlose. Was konnten sie beide ausrichten gegen dies kalkweiße Antlitz mit hochrotem beweglichem Mund; gegen diese Nase, die voll Wehmut, spitz, seltsam-asketisch in die Luft stach! – Die Augen! Sie waren rollende Feuerbälle, schwerlidrig und von Wimpern geziert, deren streichelndes Spiel die Lauscherin bis zum Schluchzen entzückte. Die zuckenden hohen Brauen wurden im Nasensattel durch eine blaue Falte zerschnitten. Nun intonierte er ein Lächeln. Es wanderte vom einen Mundwinkel in den anderen, denn noch schien der Auferstandene etwas erschöpft. Die Augen blieben tottraurig währenddessen, und die schmale Stirn sorgenumwittert. Es war gleichsam ein Lächeln auf Vorschuß; und erlosch wiederum. – Nun wankte er auf das zerbrechliche Sofa zu und sank darauf nieder, Falte nach Falte. Seine schmale Hand kam irgendwo zum Vorschein und pendelte, mit den Knöcheln das Parkett streifend, über die rosa gepolsterte Schneckenlehne herab.
    Die Gräfin versäumte nichts, um ihn völlig wachzumachen. Sie näherte ein Glas Rotwein seinem Mund. Nach mehreren glucksenden Zügen (wobei er selig und schwach hüstelte) – kam denn auch sichtlich mehr Leben in ihn. Sein Mund öffnete sich wie ein Trichter, als entschlüpfe ihm ein köstlicher Ton im höchsten Diskant; doch vernahm man noch keinen nennenswerten Laut; noch präparierte er sich. Dies schien ein Signal für die Alte. Sie eilte zur Truhe und zog eine Guitarre mit breitem Tragband hervor, das sie ihm um den langen Hals schlang. Hierauf kam seine andere Hand aus dem wabernden Ärmel zum Vorschein und akkompagnierte der ersten, die zuckend emporschnellte. Seine dünnen Finger raschelten über die Saiten, schraubten, probten und erzeugten Klänge so zart, wie wenn ein Meislein im Neste träumt. Klare Akkorde folgten, und dazu sang jetzt seine Stimme. Sie schien vom Plafond zu kommen; sie hatte etwas pastoral Schwingendes. Sie klang wie der Föhn, der ein erstes Mal in die Knospen fährt und sie wild hin und her bewegt. Dann stand der Spieler auf und raffte den Fenstervorhang zurück. Die Kerzen und der Mond, an dem eilige Wölkchen vorüberhasteten, erzeugten geisterhaftes Zwielicht. Bewegung war draußen im Park; der Kanal blänkerte; ein flackerndes, stummes Leben schien geschäftig. Durch das Fenster sah man die samtschwarzen, parallelen Schatten der Hecken. Noch einmal hob der Mond sich von den Wolken ab, als sei er größer geworden, als wachse er wie ein silberner Alb heran, von Fledermäusen quer durchschnitten; dann wurde es mit einemmal pechfinster; ein trommelndes Geräusch, ein gläserner, flüsternder Vorhang umgab das Schloß, umgab den Park und die Welt; Regen sprühte.
    Doch innerhalb dieser trommelnden Stille war ein goldenes Versteck, ein heimlich flammendes Zentrum. Draußen rührten sich Säfte, wucherten Augen im Holz, keimte das Grün des noch wiegenstillen Jahres so geheim, daß man sich kaum ins Ohr zu tuscheln wagte: » Pierrot ist wach! « – Vielhundertmal hatte man ihn begraben, im Duell gefällt, plump verkannt; hatte Eis und Schnee mit melancholischer Wut auf ihn getürmt; immer ward er wieder lebendig, wenn seine Stunde kam. Die Gräfin Ponquille hatte ihn gepachtet, und an der Tür stand ihre junge Nichte. Sie hatte noch nichts von Pierrot erfahren; sie bebte vor Eifersucht. –
    Drinnen begann man nun, sich leise zu unterhalten. Das Kerzenlicht blühte durch die Gläser, in denen roter Margaux funkelte. Jetzt beugte sich Pierrot und küßte langsam und genießerisch die Hand der Gräfin. Und während dieser Sekunden geschah etwas so Seltsames, daß Désirée kaum einen Schrei unterdrücken konnte. Denn nicht mehr ihre Tante saß dort, sondern eine geschmeichelte, gepflegte Matrone von beiläufig vierzig Jahren. Die Runzeln waren verschwunden; die Figur hatte sich gerundet zu praller Fülle, die die seidne Panzerung bei jeder Regung zu sprengen drohte. Die ganze Erbschaft einer

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