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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Und sie schien sich zu straffen. Sie hastete nach dem Fenster, an das ihr Schäferstab, ebenfalls mit Atlasbändern geziert, gelehnt stand, und ergriff ihn wie eine Waffe. Désirée folgte ihr kaum mit den Augen; es schien ihr viel wichtiger, von Pierrot Besitz zu ergreifen, sich an seine Seite zu schmiegen und den Arm um ihn zu schlingen. Sein Ausdruck war etwas verdutzt gewesen, doch er war offenbar entschlossen, mit sich geschehen zu lassen, was das Schicksal beschloß.
    Jetzt kam die Tante zurück. Sie schwang den Stab in der Luft, daß die Bänder knatterten und die Kerzenflammen in allen Spiegeln wankten. »Sie werden vergessen,« keuchte sie dabei, »was Sie gesehen haben! Oder, bei Gott – ich jage Sie aus dem Schloß! Und Sie sind meine Nichte nicht mehr! Auf der Stelle geben Sie den Platz frei, oder ich enterbe Sie – Sie Lorette!! Er gehört Ihnen nicht! Sie haben kein Anrecht auf ihn!«
    »Ein größeres als Sie. – Ihr Alter ist vorgetäuscht. Sie täuschen vor, Sie seien ein junges Mädchen wie ich. Sie erschwindeln sich die Zuneigung dieses Mannes. In Wahrheit sind Sie . . .«
    »Hinaus!!« schrie das Gespenst mit dem Schäferstab und schlug zu . . .
    Désirée war handfest. Sie fing den Schlag auf; er kam seltsam schwach herab. Bei dieser heftigen Bewegung platzte ihr Mieder und stellte, als bestes Argument, den Beweis blühender Jugend zur Schau. Dies hätte genügt, wenn die Tante nicht aggressiv geblieben wäre – so aber mußte sie sich zur Wehr setzen. Sie kämpften, und eine Wolke von Puder stieg auf. Aller Respekt war vergessen. Auf einmal tat die Gräfin einen Schrei, viel lauter und klagender als den ersten, und sank um. Entsetzt hielt Désirée inne: denn was dort lag, war wiederum die ihr vertraute alte Tante, nur viel älter, verdorrter und kümmerlicher, als sie sie je gesehn. Die Verwandlung geschah mit schauerlicher Plötzlichkeit. – Désirée hielt ihren Zustand für eine Ohnmacht, doch dann wurde die Reglosigkeit der Nebenbuhlerin ihr unbehaglich. Sie schaffte sie in den Nebenraum, der ihr als Versteck gedient, und bettete sie, so gut sie konnte. Es war ihr inzwischen jeder Zweifel darüber geschwunden, daß die Tante tot war. Der Zorn bebte noch in ihr nach, sie handelte wie unter einem Zwang. – Ohne sich weiter aufzuhalten, eilte sie zu Pierrot zurück.
    Dieser zeigte sich von bemerkenswertem Gleichmut, als ob ihn der Wechsel der Szenerie nicht im geringsten berühre. Mokant lächelnd hatte er als Zuschauer, ohne einzugreifen, diesem weiblichen Duell um seine Person beigewohnt. War er in der Gesellschaft der Tante schon ausgelassen gewesen, auf seine verwöhnte Art, so ergriff ihn jetzt geradezu ein Taumel, als die echte Jugend ihn an ihre warme Brust nahm. Sein Hals dehnte sich wie eine Kerze; sein zurückgeworfenes Haupt schien von rätselhaftem Gram verschönt und verklärt von der Wissenschaft um eine geheime, allumfassende Liebe, die der äußerlich schenkenden ihre glühende Folie lieh. Er krähte förmlich vor Bedeutsamkeit und prophetischem Tiefblick; er zappelte und sah mit mokantem Mund, starre Entsagungsaugen im zuckenden Puderfeld, in die Spiegel hinein; er beschwor, deklamierte und fegte mit den wabernden Ärmeln einige Gläser vom Tisch. – Zuweilen blieb er stehen und wuchs vor Verachtung einem unsichtbaren Gegner gegenüber, den er dann mit der Laute bedrohte; mit Versen durchbohrte; zu Boden lächelte; und einen Augenblick glaubte Désirée in einem der Spiegel die Umrisse eines gescheckten Trikots zu sehen, das farbig durch das kristallene Gesichtsfeld glitt: –
Arlecchino!!
 –
    Dann, nach erneuter Umarmung, sprang er ans Fenster und riß, wie in der ersten Nacht, den Vorhang zurück. Wiederum blickte der Mond groß und hell herein. Und Désirée sah, wie der weiße Mann ihm Kußhände zuwarf, verliebte Gebärden machte und mit der Laute winkte. Siehe da: der Mond geriet ins Wanken, ins Rollen; er schwamm, er wuchs. Er schob sich durch die Bäume; wie ein Silberrad spazierte er über die Äste, er wurde groß und größer und sein Glanz immer stärker. Traumhafte Wellen von Lähmung wallten von ihm herab. Eine silberne Schlafsucht überzog die Welt. Gleichzeitig entstand draußen, wie früher, ein Raunen und Rieseln; und Désirée sah einige Knospen, schwarz und schlank, vor einem silbernen Hintergrund schwanken. Letzte Schneestückchen auf dem Dunkel der Erde schimmerten wie Leichentücher, und ein hohler, großer Ton ging um, aus den Bergen

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